Santa Monica – Malibu Wines

Wieder fangen wir den Tag mit Joggen an. Heute ist für uns nicht mehr alles ganz so neu wie gestern, und so haben wir etwas Zeit, um uns umzuschauen. Morgens früh um sieben trifft man hier schon sehr viele verschiedene Leute beim Frühsport an. Eine Weile laufen wir hinter einer Gruppe von Rentnern her, die ziemlich zügig unterwegs sind und daneben noch Zeit haben, um miteinander zu plaudern und zu lachen. Skater und Radfahrer kommen uns entgegen, auf dem Meer sieht man schon die ersten Wellenreiter, und ab und zu steht da ein individualistischer Einzelkämpfer im Sand und vollführt Bewegungen, bei denen man nicht so recht erkennen kann, was das sein könnte. Wir ziehen in Ruhe und ganz gewöhnlich über die Joggingstrecke am Strand und laufen schliesslich durch eine grosse Anlage mit verschiedenen Spiel- und Sportgeräten. Die Ringe und Schaukeln an ganz langen Ketten probieren wir ausgiebig aus und machen uns dabei fast die Hände kaputt.

Mittlerweile hat die Versicherungsgesellschaft auf meine Offertanfrage von gestern Abend geantwortet. Sie fordern mich auf, innerhalb von zwei Stunden einen unterschriebenen Versicherungsantrag einzureichen und die Prämie für die Versicherungspolice zu bezahlen, damit meine Versicherung schon am nächsten Tag in Kraft treten kann. Das angeschlagene Tempo finde ich schon einmal nicht schlecht. Trotzdem dürfte das eine spannende Angelegenheit werden. Die Versicherungsgesellschaft sitzt nämlich im Staat New York und ist uns in Kalifornien bereits drei Stunden voraus. Die gesetzte Frist ist also längst verstrichen. Das ist aber noch lange nicht alles. Um die Sache richtig interessant zu machen hat mir die Versicherungsgesellschaft weder einen Versicherungsantrag geschickt, den ich unterschreiben könnte, noch hat sie eine Rechnung beigelegt oder einen Betrag genannt. Ich soll also innerhalb von zwei Stunden, die längst verstrichen sind, etwas unterschreiben, das ich nicht habe, und dafür auch noch einen Betrag bezahlen, bei dem ich weder die Höhe noch den Empfänger kenne. Das Ganze erinnert mich an eine geniale Prüfungsfrage aus meiner Schulzeit, die im Fach Geschichte gestellt worden ist: "Welches Kloster wurde wann, wo und von wem gegründet?" Aber wozu sind wir hier im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Wo wenn nicht hier muss man damit rechnen, dass Versicherungsspezialisten über einen soliden Sinn für Realsatire verfügen? So entwickelt sich ein ziemlich hektischer Mailverkehr, in dem mich die Versicherungsgesellschaft immer wieder auffordert: „please do immediately", und das in Abwechslung mit "please send us as soon as possible“, und so dauert es schliesslich gar nicht so lange, bis ich meine Versicherungsnachweise für die USA und für Kanada in der Hand halte, gültig ab morgen. So ist aus dem anfänglichen Land der unmöglichen Begrenztheiten doch noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten geworden. Und morgen Samstag kann ich mein Motorrad abholen.

Übrigens, das Kloster Monte Cassino wurde 529 von Benedikt von Nursia in Cassino, etwa auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel gegründet. Weil das aber schon so lange her ist und bestimmt auch länger als zwei Stunden gedauert hat, weiss die Versicherungsgesellschaft in New York nichts darüber, da bin ich mir ziemlich sicher.

Der nette Herr von Monsieur Marcel

Für den heutigen Tag haben wir noch gar keinen Plan. Daher lassen wir uns Zeit und schlendern ein bisschen durch das Zentrum von Santa Monica, das ganz in der Nähe unserer Unterkunft liegt. Mitten in der Fussgängerzone von Santa Monica gibt es ein französisches Bistro, bei dem wir schon gestern frühstücken wollten. Gestern waren wir so früh unterwegs, dass das Bistro noch nicht geöffnet hatte. Aber heute kommen wir zur rechten Zeit und finden auch einen Platz bei „Monsieur Marcel“. Der Kellner ist etwa in meinem Alter. Ich bestelle bei ihm "a Croque Monsieur, please". "Oui" antwortet der  Kellner in blitzsauberem Französisch. Jetzt staune ich aber. Der Firmenname „Monsieur Marcel“ ist also nicht nur ein amerikanischer Marketing-Gag. Wir sind tatsächlich hier in Santa Monica bei einem Franzosen zu Gast zum Frühstück. Während der Kellner für unsere Bestellung sorgt und unser Frühstück serviert wollen wir von ihm wissen, wie es kommt, dass es einen Franzosen hier nach Santa Monica verschlägt. Umgekehrt möchte er von uns wissen, was wir Schweizer vorhaben, wenn wir ausserhalb der Touristensaison schon Anfang März hier in Santa Monica aufkreuzen. Als er hört, dass ich drei Monate unterwegs sein werde, hält er mich zuerst für einen Rentner, schüttelt dann aber gleich den Kopf und meint, dass ich dafür mit Sicherheit zu jung sei. Ich erkläre es ihm: „Je suis au chômage, et je suis venu par ici pour ne pas devenir fou à la maison“. Ganz offensichtlich kennt er sich mit dem Thema aus, denn er nickt, zeigt ein wissendes Gesicht und meint vielsagend: „Ah oui? Bonne idée!“ Ich mag die Franzosen sowieso, aber den hier mag ich ganz besonders.

Nach dem Frühstück bei Monsieur Marcel ist es Zeit, den Tag zu planen. Wir entscheiden uns für eine Tour zu einem Weingut, wo wir irgendwo an einer Besichtigung und/oder einer Degustation teilnehmen können. Die grossen Weinkeller mit klingenden Namen wie Mondavi und Behringer bieten so etwas zwar an. Aber man muss sich dort jeweils bis am Vortag anmelden, um dann in so einer klassischen vordefinierten Roadshow von 30 – 70 Minuten durch die Anlagen geschleust zu werden. Das ist nicht das, was wir suchen. Schliesslich finden wir einen kleiner Winzer namen "Malibu Wines", bei dem man individuell degustieren kann. Das Weingut liegt in den Santa Monica Mountains. Da fahren wir hin.
Diesmal nehmen wir den Weg über den Topanga Canyon durch die Santa Monica Mountains. Die Strasse hier ist etwas breiter, aber auch stärker befahren als der Latigo Canyon. Unterwegs sehen wir immer wieder kleine Siedlungen, die eigenartige Waren am Strassenrand ausgestellt haben. Man weiss nicht so recht, was es sein soll: Töpfereien, Kunst- oder Antiquitätenhändler oder übriggebliebene Hippie-Kolonien. Schliesslich biegen wir auf den Mulholland Drive ein, eine etwas verkommene, zweispurige Strasse, die mitten durch die schönsten Abschnitte der Santa Monica Mountains führt, und kommen schon bald bei Malibu Wines an.

Malibu Wines arbeitet nach einem einfachen aber attraktiven Konzept. Zuerst schreibt man sich an einer der Theken hier für eines von zwei Degustationsangeboten ein, Degustation line nennen sie das hier. Eine Degustation line kostet 16 Dollar und besteht aus fünf verschiedenen roten und weissen Weinsorten, von denen man je ein Glas zu gute hat. Dann holt man sich in seinem eigenen Tempo Glas für Glas seinen Wein ab. Wenn man mit seiner Degustation line durch ist hat man also einen halben Liter Wein konsumiert. Wer zu seinem Wein etwas essen möchte muss sein Menu selber mitbringen. Malibu Wines bietet keine Küche an, stellt aber genügend Grillplätze zur Verfügung. Und dann sitzt man hier gemütlich alleine oder in einer Gruppe mit seinen Weinen und degustiert so vor sich hin. Für den Fall, dasss es kälter wird, stehen Gaspilze bereit - die verbreiten zwar keine Gemütlichkeit, aber sie geben warm. Kinderwagen, Sandkisten, Spielplätze, Spielsachen, quengelnde Kinder und gestresste junge Eltern, das alles sucht man hier vergebens, denn für den Zutritt zu Malibu Wines muss man mindestens 18 Jahre alt sein. Wir sind hier in den Vereinigten Staaten von Amerika. Hier darf man zwar schon mit 16 Jahren Auto fahren, aber wer das auch noch besoffen tun will muss damit schon bis zu seinem 18. Geburtstag zuwarten.

Felsskulptur bei Malibu Wines

Es ist Freitagnachmittag. Bei unserer Ankunft waren vielleicht 20 Gäste hier. Mittlerweile ist es recht voll geworden. Die Kundschaft besteht vor allem aus jungen Leuten im Alter von 20 bis 35 Jahren. Es sieht ganz danach aus, wie wenn man hierherkommt, um sich für die Feiern zum Wochenende warmzulaufen.

Am frühen Abend wird es etwas frisch hier im Garten von Malibu Wines und wir brechen auf. Unser Nachhauseweg führt uns durch den Tuna Canyon und über eine sehr kurven- und gefällereiche Strasse, durch eine landschaftlich sehr reizvolle Gegend, die sich in der Abenddämmerung auch noch von ihrer besten Seite zeigt. An einem Aussichtspunkt halten wir noch einmal an. Wer hätte das gedacht, dass es so einen Blick auf Malibu Beach von oben gibt.

Renee, unsere Airbnb-Gastgeberin, empfiehlt uns ein etwas edleres Restaurant zum Abendessen. Da gehen wir hin und machen uns auf lange Wartezeiten gefasst. Weit gefehlt. Wir kriegen sofort Platz, werden bestens bedient und erhalten wirklich ein ausgezeichnetes Abendessen. Meine Tochter erklärt mir, dass es hier oft so ist, dass gediegen gleichbedeutend mit unglaublich laut ist. Warum auch nicht? Also, ich komme schliesslich vom Land, was weiss denn schon ich?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert