Pasadena – Hollywood

Während der Nacht ist hier in Pasadena ein zünftiges Unwetter durchgezogen. Am Morgen bestätigt ein Blick nach draussen meine Befürchtungen: Das Wetter ist grässlich, es regnet und stürmt. Eigentlich hatten wir geplant, heute zu einer Motorradtour in die Berge bei Pasadena zu starten. Aber bei dem üblen Wetter - und vor allem bei den Spuren, die das Wetter wahrscheinlich in den Bergen hinterlassen hat - bleibt uns nichts Anderes übrig, als die Tour abzublasen.

So richtig schön fängt meine Motorradreise also nicht an. Ich sitze für den Moment hier im verregneten Pasadena fest und nutze den Morgen, um mein Gepäck zu überprüfen, unnötiges Material auszusortieren und die richtige Beladung herauszufinden.
Gegen Mittag wird das Wetter dann deutlich besser. Die Sonne kommt hervor, es wird rasch warm und die Strassen sind innert kürzester Zeit wieder so trocken, wie wenn gar nichts gewesen wäre. Es ist zwar zu spät, um jetzt noch zu unserer geplanten Tour zu starten. Wir werden uns aber heute Nachmittag trotzdem in Hollywood treffen.

Wir treffen uns im "Blue Bottle Coffee", einem Szene-Restaurant am Beverly Boulevard in West Hollywood. Das Cafe ist noch ziemlich neu, überschaubar gross und jung-modern nach dem Reduced-to-the-max-Prinzip eingerichtet. Hinter der Theke arbeiten nur junge, betont stylische Leute. Bei allem was sie tun nehmen sie eine besondere, erhaben bescheidene Haltung ein und verleihen damit selbst einem so profanen Vorgang wie der Bestellung eines Kaffes eine erlesene Aura. Für die Zubereitung eines Kaffees oder eines Tees setzen sie die sorgfältige Aufmerksamkeit von zwei Mitarbeitenden ein. Der eigentlich alltägliche Vorgang wird hier wie ein Zeremoniell zelebriert, das eine Viertelstunde dauert, aber absolut sehenswert ist. So wird auch uns nach einer angemessenen Zeit die Ehre zuteil, einen dergestalt gebrauten Kaffee und einen ebenso würdig aufgegossenen Tee kredenzt zu erhalten. So in hohem Masse wohlversorgt wenden wir uns alsbald der Frage zu, was wir hier noch gemeinsam unternehmen könnten. Schon bald haben wir einen neuen Plan: Meine Tochter verschiebt ihre Abreise und ich verschiebe den Start meiner Reise. Statt die geplante Tour nachzuholen fahren wir für ein paar Tage nach Palm Springs, einem Ort in der kalifornischen Wüste, wo in den Fünfzigerjahren die wirklich Reichen und Schönen den Winter verbracht haben. Jetzt Anfang März liegen die Temperaturen da bei angenehmen 25-30 Grad. Das ist vergleichsweise kühl, wenn man weiss, dass es im Sommer in Palm Springs über 40 Grad heiss wird.

Zunächst einmal fahren wir aber zur Autovermietung. Dort mieten wir für den Trip nach Palm Springs noch einmal ein Auto. Während wir dort am Schalter anstehen sprechen uns zwei junge Männer an. Sie haben gehört, wie ich Englisch spreche und wollen wissen, woher mein Akzent kommt. Es stellt sich heraus, dass die beiden Männer aus Konstanz stammen. Der eine von ihnen lebt hier in Kalifornien und arbeitet als Fallschirmspringer. Der andere lebt in Zürich und besucht gerade den einen hier. Der eine hier ist aber nicht nur an unserem Akzent interessiert. Er betreibt hier in Kalifornien offenbar alle möglichen Extremsportarten und hat ein grosses Bedürfnis, von seinen Erlebnissen erzählen. Mit Blick auf meinen Helm erzählt er, dass er auch Motorrad fährt. Hinter vorgehaltener Hand verrät er mir, dass man als Motorradfahrer hier in Kalifornien bis zu 90 Meilen/h schnell fahren kann, ohne dass man deshalb von der Polizei verfolgt wird. Ich mache grosse Augen. 90 Meilen, das liegt etwa 30% über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Das ist auch hier in Kalifornien eine ziemlich heftige Überschreitung. Und bei der hier herrschenden Verkehrsdichte ist es auch ziemlich riskant, so schnell zu fahren. Der junge Mann sieht meinen etwas ungläubig-skeptischen Blick und legt sogleich etwas grossspurig nach. Er sei natürlich sehr geübt und pflege ausserdem einen präemptiven Fahrstil. So einen Blödsinn kriegt man ja nun wirklich nicht alle Tage zu hören. Da muss ich mir schon ein kleines bisschen Mühe geben, damit ich mich nicht aufrege. Eine Geschwindigkeit von 90 Meilen entspricht etwa 145 km/h. Das ist eigentlich gar nicht so furchtbar schnell. Es ist aber 45 km/h schneller, als es hier in der Regel erlaubt ist. Wenn jemand bei der hohen hiesigen Verkehrsdichte auf diesen fünf- bis sieben-spurigen Autobahnen fast ein Drittel schneller fährt als alle anderen Verkehrsteilnehmer, dann stellt er das eigentliche Risiko dar. Um dieses Risiko einzudämmen braucht es so komplizierte Wörter wie „präemptiv“ nicht. Es reicht, vom Gas runter zu gehen. So einfach ist das. Du liebe Zeit, wenn ich jetzt nicht gute aufgepasst hätte, dann hätte ich mich doch noch beinahe über den jungen Mann aufgeregt. Ich glaube, ich werde wirklich langsam älter.
Gottseidank haben wir in der Zwischenzeit unseren neuen Mietwagen erhalten. Es ist ein Chevrolet im Stil des Kia, nur etwas bulliger und grösser.Das erste Thema wäre also erledigt.

Etwa 500 m weiter finden wir ein Geschäft, wo wir hoffentlich einen Motorradhelm kaufen können. Wir treten ein und merken sogleich, dass es in diesem Laden um Harley-Motorräder und das entsprechende Zubehör geht. Es dauert eine ganze Weile, bis wir bedient werden. Der Mann hinter der Theke telefoniert nämlich gerade, und wir kriegen die bühnenreife Version von einem dieser literarisch belegten wichtigen und langen Telefongespräche mit: „Yeah" ...„Yeah" ... "Ha?" ... "Oh!" ... „Yeah". Mit diesem wiederkehrenden Inhalt zieht sich das Telefongespräch über eine längere Zeit hin. Als der Mann hinter der Theke das Telefongespräch dann beendet stellt er sich im Hinterhof zu ein paar Kunden - typische Harley-Fahrer -, mit denen er offenbar noch ein paar ganz wichtige Dinge zu besprechen hat. Wir schauen uns mit grossen Augen an. Gut, denke ich mir, was erwarten wir eigentlich? Wir sind ganz offensichtlich Ausländer. Ich bin zudem noch ein BMW-Fahrer, bin also sowieso mit dem völlig falschen Motorrad unterwegs, und trage statt der obligatorischen Harley-Mähne auch noch lediglich ein paar kurze, graue Haare. Und meine Tochter ist eine junge Frau ohne erkennbare Motorrad-Insignien, die sich selbständig bei den Helmen umschaut. Was glauben wir eigentlich, wer wir sind, hier in diesem Harley-Laden?
Es ist schliesslich doch nicht ganz so schlimm, wie ich mir gerade vorgestellt habe. Nachdem wir etwa eine Viertelstunde gewartet haben hat der Mann vom Harley-Laden endlich Zeit für uns. Dabei zeigt sich, dass er eigentlich ganz nett ist und sich für unser Anliegen interessiert. Er ist also fast ein wenig untypisch für einen Harley-Typen. Und damit nicht genug: Der Mann hat nicht nur einen passenden Helm, nein, er bietet ihn auch noch zum halben Preis an. Damit macht er mir nun wirklich alle Klischees kaputt, die ich gerade so schön aufgebaut habe. Aber was soll's? Es ist doch einfach wunderbar, auch ohne Klischees.

Meine Tochter hat ein neues Mietauto und einen Motorradhelm. In Palm Springs wartet ein reserviertes Hotelzimmer auf uns. Jetzt sind wir für unsere zusätzlichen Ferientage ausgerüstet. Wir werden unabhängig voneinander mit unseren Fahrzeugen anreisen. Am nächsten Morgen werden wir uns um 10.00 Uhr auf dem Hotelparkplatz in Palm Springs treffen.
Die Fahrt von Pasadena nach Palm Springs dauert gute zwei Stunden. Zehn Uhr früh ist daher vielleicht etwas sportlich angesetzt, aber das werden wir ja sehen.

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