Tucson – Showlow

Mount Lemmon 2

Der Mount Lemmon im Nordosten und die Mica Mountains im Osten von Tucson bilden zusammen einen Schutzschild von einem Viertelkreis. Der Mount Lemmon ist ein Naherholungsgebiet von Tucson. Im Winter scheint man hier auch Skifahren zu können. Es überrascht mich, dass man im Süden Arizonas Skifahren kann, denn einerseits muss es in Arizona ja auch im Winter sehr warm sein, sonst kämen all die Sunbirdies aus den Nordstaaten nicht zum Überwintern hierher, und andererseits ist die Gegend hier nicht so gebirgig, dass ich hier ein Skigebiet erwartet hätte. In den letzten drei Tagen bin ich ja kaum über nennenswerte Bergstrecken gefahren. Das sollte heute eigentlich anders werden. Ich werde vom Süden her den Mount Lemmon hoch fahren, dann auf der Höhe, kurz vor dem Skigebiet, in eine kleine Bergstrasse einbiegen, auf der Nordseite des Mount Lemmons hinunterfahren, eine Ebene durchqueren und dann weiter nach Norden Kurs auf die weissen Berge nehmen.

Während fast einer Stunde tuckere ich zuerst einmal aber am Nordrand der Stadt Tucson entlang, bis ich endlich zur Zufahrt zum Mount Lemmon komme. Die Tuckerei in Tucson lohnt sich aber. Über rund 20 Meilen führt eine spannende, kurvenreiche und gut ausgebaute Bergstrasse den Mount Lemmon hinauf. Links der Blick auf den hellen, grobfelsigen Berg, rechts die Aussicht auf die arizonaflache weite Ebene, diese Mischung aus schroffer, bergiger Umgebung und Wüstenvegetation mit Saguaro-Kakteen, blühenden Sträuchern und grossen Schmetterlingen lassen mich mehrmals anhalten und wie ein Kind einen Moment lang dem zuschauen, was da gerade zu sehen gibt oder was sich da gerade bewegt.

Und obwohl heute ein gewöhnlicher Montag ist bin ich bei weitem nicht alleine unterwegs. Ganze Rudel von Radfahrern haben sich etwas vorgenommen und kämpfen sich den Berg hoch. Viele Familien und Wandergruppen sind abseits der Hauptstrasse zu Fuss unterwegs oder haben schon mit dem Picknick begonnen. Schöne und sehr, sehr Schöne fahren in teuren Cabriolets die Bergstrecke hinauf, und natürlich sind auch Scharen von Motorradfahrern hier unterwegs, vorwiegend mit imposanter Dezibelstärke, wie es hier in den Staaten offenbar so üblich ist.

Ebene von Tucson

Saguarokakteen auf dem Mount Lemmon

Mount Lemmon 2

Etwa eine Stunde verbringe ich damit, in aller Ruhe hier den Berg hochzufahren, überall anzuhalten, wo es etwas zu sehen gibt und immer wieder einmal ein Rudel allzu aufdringlicher Kollegen an mir vorbeiziehen zu lassen. Ich habe Zeit.

Tatsächlich finde ich dann oben auf dem Berg einen Hinweis auf die kleine Strasse, über die ich nach Norden fahren will. Zuerst fahre ich die Strecke aber noch zu Ende, bis dahin, wo ein grosser Parkplatz und mehrere Restaurants das Ende der Strasse und gleichzeitig das Zentrum des Skigebiets markieren. Parkplätze und Restaurants sind offenbar international anerkannte Merkmale für Regionen des Berg- und Wintertourismus. Wo ich schon einmal hier bin möchte ich mich gleich noch bei den Kollegen vergewissern, dass ich weiter oben die richtige Abzweigung gesehen habe. Leider habe ich aber nicht mehr daran gedacht, dass man einen Harley-Fahrer nicht nach kleinen Nebenstrassen fragen sollte. Im kurzen Gespräch zeigt sich, dass die beiden Kollegen zwar sehr nett sind. Aber weil sie nicht nur Harley-Fahrer sind, sondern auch gar nicht aus der Gegend hier stammen, haben sie erst recht keine Ahnung von der Strasse, die ich suche. Zurück auf der Hauptstrasse biege ich bald einmal auf die angezeigte Nebenstrasse ab, komme aber nur gerade 50 m weit, bis eine geschlossene Schranke die Weiterfahrt verhindert. Das ärgert mich ein wenig. Ich mag es nicht, wenn sich eine geplante Route zuerst vielversprechend entwickelt und dann plötzlich unterbrochen wird. Wenn ich mir die Sache aber genauer anschaue, dann hat diese Strassensperre hier durchaus ihre Richtigkeit, denn was meine Karte hier als Strasse bezeichnet ist lediglich ein steiler, übel verschlämmter Feldweg, und davon lasse ich ganz bestimmt die Finger. Das bedeutet allerdings, dass ich zuerst die ganze Strecke wieder zurück nach Tucson fahren und dann auch noch dem ganzen Nordrand der Stadt entlang wieder zu meinem Ausgangspunkt zurücktuckern muss. Wahrscheinlich war es diese Strecke am Nordrand, die der Stadt den Namen gegeben hat: Tuckern in Tucson. Auf der Fahrt zurück nach Tucson nimmt die Verkehrsdichte schlagartig zu. Pulk an Pulk fahren die Kollegen auf ihren dröhnenden Harleys in die Richtung von Tucson, wahrscheinlich auf der Suche nach einem passenden Platz zum Mittagessen, und ich muss gut schauen, dass ich zwischen den krachenden Gruppen immer wieder einen Platz für mich finde.

Zur Mittagszeit bin ich zurück in Tucson. Ich bin ein kleines bisschen schlecht gelaunt, habe Hunger und Durst und brauche dringend einen Ort, wo ich mich hinsetzen und meine Planung neu aufsetzen kann. Diesmal muss ein Wendy Schnellimbiss genügen. Eine Stunde später sind Olga und ich wieder bereit zur Weiterfahrt und wir machen uns auf zu den White Mountains – zu denen in Arizona, nicht zu den berühmten White Mountains an der Ostküste.
Bis dahin braucht es aber noch viel Geduld, denn meine Route führt mich zuerst lange Zeit durch die Agglomeration von Tucson, die schliesslich in der weiten Ebene nordöstlich von Tucson in ein wirklich ländliches Gebiet übergeht. Die Landschaft ist so, wie ich mir den Westen der USA vorstellt habe: Mal hügelig, mal eben, mal grasgrün, mal strohgelb und nur sehr spärlich besiedelt. Von Tucson bis Globe sind es über 100 Meilen, und die ziehen sich heute zäh dahin. Nach einer Stunde mache ich Rast und fotografiere an Pflanzen, was mir so vor die Linse kommt: Rote Blüten, einen Kaktus mit gelben Früchten, einen Saguaro, der schön in der Landschaft steht, einfach alles, was gerade da ist, schön anzuschauen ist und dazu geeignet ist, mich bei Laune zu halten.

Mehrmals kreisen während der Fahrt durch die Ebene grosse Raubvögel über mir. Ich kenne mich mit den Vogelsilhouetten leider nicht aus. Weil ich aber hoffe, dass es sich hier um Adler handelt, halte ich an und warte, bis ich sie fotografieren kann. Als ich später in Wikipedia nachschaue stellt sich heraus, dass es Falken gewesen sind.

Kaktus mit gelben Früchten

Roter Strauch

Falke

Schlucht bei Globe

Kurz vor Globe tauchen grosse, zu schönen Kegeln geformte Schuttberge auf. Hier wird offenbar Kupfer im Tagebau abgebaut und die Abbaureste werden dann wieder zu Hügeln aufgeschichtet. Schon nach den ersten paar Häusern von Globe verlasse ich den Ort gleich wieder, biege nach Osten ab und fahre durch eine breite Schlucht weiter Richtung Nordosten, direkt in die White Mountains. Hier beginnt endlich die Strecke, zu der ich heute hinfahren wollte, der Highway 60, der über 140 km in langen Kurven durch die Berge führt.

Hier muss ich mich nicht bei Laune halten. Hier wird meine Geduld belohnt, und es geschieht das, was mein Freund Hebi und ich auf unseren Touren immer wieder bestätigt finden: Motorradfahren macht glücklich. Die Wechsel zwischen Beschleunigen und Verlangsamen, die Hin-und-Her-Bewegungen in den Kurven, die Vibrationen, Fliehkräfte und Erschütterungen, der Fahrtwind, die wechselnden Temperaturen und Gerüche und die immer wieder überraschenden Landschaftsmomente machen einen von Grund auf zufriedenen Menschen aus mir. Hier geht es einfach nur ums Fahren und Geniessen, wie es stundenlang weitergehen könnte, und um sonst nichts. Das ändert sich dann auch wieder einmal. Etwas weiter weg ist eine spannende Felsformation zu sehen. Bei einem gut gelegenen Aussichtspunkt halte ich an, schaue mir das in Ruhe an, versuche, ein paar Bilder zu schiessen und fahre dann wieder weiter.

Salt Rover Canyon von weitem

Es sieht ganz so aus, wie wenn diese Felsformation in meiner Fahrtrichtung liegen würde. Je näher ich komme desto spannender zeigt sich die langgezogene Felswand, und ich halte mehrmals für einen kurzen Fototermin an. Ich kann mich nicht erinnern, in einem Reiseführer etwas über diese eindrückliche Landschaft gelesen zu haben. Was soll's? Eine so schöne Überraschung nehme ich gerne an.
Mein Ziel heute ist ist Show Low, eine kleine Stadt oben in den Bergen, und bis dahin ist es noch ein schönes Stück Weg. Show Low liegt auf fast 2'000 Metern. Da ist es bestimmt um einiges kühler als unten in Tucson. Weil es schon etwas spät ist und die Dämmerung sich ankündigt nehme ich mir vor, bis Show Low durchzufahren. Als ich nach einer Bergkuppe wieder auf Talfahrt bin und mich gerade so schön in eine sehr weit gezogene Rechtskurve legen will muss ich diesen Vorsatz aber leider aufgeben, denn vor mir liegt völlig unerwartet ein richtiger Canyon, langgezogen, tief und weit, und unglaublich beeindruckend. Da lasse ich meinen Vorsatz sausen, Kälte oder Dämmerung hin oder her. Ich halte an und muss für eine ganze Weile einfach staunen. Wie so oft ist es nicht nur die Landschaft, die den Moment ausmacht, sondern auch das Unerwartete und Überraschende. Später erfahre ich, dass das hier der Salt River Canyon ist, ein Geheimtipp unter den Schönheiten Arizonas. Dann mache ich mich wieder auf den Weg nach Show Low.

Salt River Canyon Nordwest

Salt River Canyon direkt vor mir

Es dämmert schon ein wenig. Die Strasse führt in grossen Serpentinen und Haarnadelkurven ganz hinab zum Salt River und dann in gleicher Manier auf der anderen Seite wieder hinauf, ein Fest fürs Fahren. Kurz bevor die Strasse vom Salt River Canyon wegführt zeigt dieser noch einmal sehr eindrückliche Landschaft aus bizarren Felsskulpturen. Ich gebe mich geschlagen und halte noch einmal an. Das muss ich einfach gesehen haben.

Salt River Canyon Skulpturen

Es ist schon fast dunkel und auch sehr kühl, als ich schliesslich in Show Low ankomme. Der Hotelier ist wirklich so freundlich, wie er auf Booking beschrieben wurde. Wir müssen uns allerdings kommunikationstechnisch etwas finden. Er spricht mit indischem Akzent, ich mit Schweizer Akzent. Da müssen wir beide ein paar Mal nachfragen, bis wir uns verstehen, aber schliesslich wissen wir das, was wir wissen müssen.

Show Low ist ein lang gezogenes Städtchen mitten in einem ländlich-bergigen Gebiet. Der Supermarkt ist am Westrand der Stadt. Im Zentrum steht hingegen ein grosser Drugstore, in dem man alles kaufen kann, was man für die Arbeit im Wald und auf dem Land braucht: Kleider, Hüte, Äxte, Motorsägen, Fischerruten, Gewehre und Ähnliches mehr. Hier versteht man unter „Lebensmittel" offenbar nicht Waren, die man kochen und essen kann, sondern Produkte, mit denen man etwas schiessen oder fangen kann, das man dann kocht und isst. Dementsprechend gibt es in der Umgebung meines Motels keinen Supermarkt, sondern mindestens drei Shops, die Autozubehör verkaufen - die Pneuhändler und Autowerkstätten nicht mit eingerechnet. So sind halt offenbar die Prioritäten hier gesetzt. Ich muss mich jedenfalls warm anziehen und Olga noch einmal hervorholen, damit ich mir etwas zu Essen zu besorgen und meine Vorräte auffüllen kann.

Reiseroute am Montag, 14. März 2016

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