Gestern spät am Abend ist noch eine Gruppe Motorradfahrer in unserem Motel hier in Holbrook angekommen. Heute Morgen sind wir etwa 20 Fahrer, die gleichzeitig um ihre Motorräder herumwuseln und sich startklar machen. Arizona zeigt sich heute wieder von seiner besten Seite. Der Himmel ist klar und tiefblau, und es ist wunderbar warm. Obwohl wir ganz unterschiedliche Leute sind, sehen wir alle irgendwie ähnlich aus: Oben leicht bekleidet und unten in dicke Motorradhosen und Stiefel eingepackt, machen wir uns alle reisefertig.
Auf dem Parkplatz stehen fast nur Harleys. Nur zwei BMW-Motorräder tanzen da aus der Reihe. Das eine ist meine Olga. Das Andere ist eine neuere Version der BMW 1200 GS, also eine jüngere Schwester von Olga. Mit ihrem Besitzer unterhalte ich mich eine Weile. Er heisst Boris. Sein Fahrzeug verfügt über einen deutlich stärkeren Motor und - vor allem - über einen fast doppelt so grossen Tank, erklärt er mir. Während wir miteinander plaudern, fällt mir auf, dass Boris so gar nicht dem Klischee eines US Motorradfahrers entspricht. Zum Einen ist er ziemlich zurückhaltend, hört aufmerksam zu und fragt nach. Und zum Anderen erzählt er etwas verlegen, dass er eigentlich mit dieser grossen Gruppe von Harley-Fahrern gar nichts am Hut hat. Er fährt einfach gerne zusammen mit anderen Motorrad, und mangels Alternativen hat er sich für ein paar Tage dieser Gruppe angeschlossen. Nachdem ich ihm meine Reisepläne beschrieben habe, kommt Boris auf seinen Traum zu sprechen. Es gibt offenbar einen Reiseveranstalter, der eine Motorradtour auf der alten Seidenstrasse von Peking bis nach München anbietet. Diese Reise dauert drei Monate und kostet 30'000 $. Darin sind alle Flüge, Transporte, Gebühren, Visa und Übernachtungen inbegriffen. Ausserdem fährt ein Mechaniker in einem Begleitfahrzeug mit. Das würde er gerne einmal machen.
Boris spricht leise, und er bewegt sich kaum, wenn er spricht. Aber seine Augen leuchten, wenn er von seinem Traum erzählt. So ist das eben mit den wahren Träumen.
Heute fahre ich von Holbrook nach Phoenix. Das sind etwa 270 Meilen Weg und etwa fünf Stunden Reisezeit. Eigentlich wollte ich ja in die Region der grossen Canyons, die etwa 200 Meilen nördlich von hier sind. Aber auf dem Weg dorthin bin ich gestern von einer Kältewelle überrascht worden. Es ist also noch zu früh, um mit dem Motorrad dorthin unterwegs zu sein. Also fahre ich so schnell wie möglich wieder in den Süden an die Wärme. In Chandler, einem Vorort von Phoenix, habe ich in einem Aparthotel ein grosses Studio mit einer gut eingerichteten Küche gebucht. Ich bin zwar erst drei Wochen in den USA. Aber ich möchte so gerne wieder einmal selber kochen. Darum will ich gleich drei Nächte dort bleiben. Ausserdem ist Phoenix ein idealer Ausgangspunkt für ein paar spannende Motorradtouren. Wenn ich Lust habe, dann kann ich locker von meinem Apartment aus die Umgebung erkunden. Und wenn nicht, dann werde ich in aller Ruhe meiner aktuellen Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Urlaub machen.
Mein erstes Ziel heute ist der Petrified Forest National Park. Dort gibt es drei verschiedene Sehenswürdigkeiten:
Die Painted Desert ist offenbar eine bunte Wüste. Rote, gelbe, graue und weisse Felsen und Sandhügel haben der Gegend den Namen gegeben.
Im Petrified Forest soll man eine Gesteinsart finden, die an versteinerte Baumstämme erinnert. Dabei soll es sich aber um ein spezielles Quarzgestein handeln.
Zwischen der Painted Desert und dem Petrified Forest kann man Überreste von frühen indianischen Siedlungen besichtigen. Uralte, in die Felsen gekratzte Zeichen sind Zeugen einer schon lange untergegangenen Kultur.
Die Informationen zum Petrified Forest National Park erinnern mich ein bisschen an den Joshua Tree National Park. Ich war mir nicht sicher, ob es da wirklich etwas zu sehen geben würde. Schliesslich hatte ich da auf einer grossen Fläche viele Yukkapalmen und rote Felsbrocken gefunden. Gut möglich, dass es im Petrified Forest National Park ganz ähnlich ist. Aber ich habe mir nun einmal eine Jahreskarte für alle Nationalparks der USA gekauft. Die will ich schliesslich ausnutzen. Und wer weiss: Vielleicht gibt es im Petrified Forest ja noch etwas ganz Spannendes zu sehen.
Im ersten Teil des Parks ist die farbige Wüste, Painted Desert zu sehen. Es sind eindrückliche rot-weiss-graue Gesteinsformationen. Die ersten paar Haltepunkte im Park sind noch gut besucht, und man sieht auch Familien, die auf den Wanderwegen durch die Painted Desert wandern. Je länger die Fahrt durch die Painted Desert dauert, desto weniger Autos hat es auf den Aussichtspunkten. Diese farbigen Formationen sind schon schön, aber es ist auch schnell einmal gut
Mit dieser Haltung fahren offenbar die meisten Parkbesucher auch in den nächsten Abschnitt, wo es um die frühe indianische Besiedelung geht. Ich weiss von Kelly Reppert, dass die kulturhistorische Bedeutung der indianischen frühen Siedlungen nicht zu unterschätzen ist. Da gab es offenbar Handelswege, die sich über den ganzen Kontinent hingezogen haben. Im Park muss es eine Pueblosiedlung gegeben haben, die eine recht grosse Gruppe beherbergt hat. Bei dem Haltepunkt, wo es um diese Siedlung geht, halten viele Parkbesucher nur noch bei den Informationstafeln des Parkplatzes. Ich will zuerst auch nur kurz halten und dann weiter, aber dann mache ich doch richtig Halt. Ich komme ins Gespräch mit einem Parkaufseher. Er ist Rentner und lebt eigentlich in Vermont. Aber von Januar bis März ziehen seine Frau und er hierher und arbeiten hier als Freiwillige im Park mit. Er hat ganz offene Augen, ist neugierig, weiss viel und ist ein interessanter Gesprächspartner. Er empfiehlt mir, die paar Dinge die es hier zu sehen gibt, unbedingt anzuschauen, der Rundgang sei nur einige hundert Meter lang. Ich habe es bisher noch nicht erlebt, dass ein Amerikaner eine Distanz in Meter angibt. Ein cleverer Typ! Die Ausgrabungen zeigen die Grundrisse eines Raumsystems. Das sagt mir weiter nichts. Dann gibt es sogenannte Petroglyphen, Symbole, die in die oberste, verwitterte Gesteinsschicht eingeritzt sind und die nicht mehr weiter verwittern. Hier finde ich interessant, wie man versucht hat, die gefundenen Symbole und Zeichnungen zu verstehen. Zum einen hat man die Indianer in der Region befragt, was sie von den Zeichnungen halten. Zum anderen fragt man die Besucher, was sie denken. Eine Art Crowd sourced Anthropologie, eine spannende Idee.
Auch ganz spannend finde ich eine Art Sonnenuhr, welche nur die beiden Tage im Jahr anzeigt, an denen Tag- und Nacht-Gleichstand anzeigen. Auf den Informationstafeln wird auf die Wichtigkeit dieser beiden Tage für eine agrare Gesellschaft hingewiesen.
Den Petrified Forest, der dem Park den Namen gegeben hat, ist wieder nur mässig interessant. Nach einer guten Stunde bin ich durch den Park durch.
Die nächste Etappe führt mich noch einmal bei June’s Cafe in Heber-Overgaard vorbei wo ich etwas Kleines zu Mittag esse. Kelly ist nicht da, aber Barb schon. Ich verabschiede mich dann von Barb mit besten Grüssen an Kelly. Am Abend kommt dann ein Mail von Kelly: Barb ist wieder ganz gesund. Schön!
Von Heber aus geht es wieder nach Payson. Diese Strecke bin ich schon zweimal gefahren, einmal hoch und einmal runter. Und von Payson aus geht es dann auf der Direttissima nach Phoenix. Das ist so eine Sache bei den Amerikanern und ihren Highways durch die Berge. Die Streckenführung dieser Bergstrassen ist einfach unglaublich, und auch, mit welchem Tempo auf diesen Strassen gefahren werden kann. Kurz vor 17.00 Uhr bin ich dann als glückliches Motorradfahrerherz in meinem Aparthotel in Phoenix. Nach auspacken und einrichten usw. bin dann bereit für den Einkauf. Heute Abend gibt es Steak und morgen Abend Spaghetti Carbonara. Zum Frühstück wird es jeweils Bio-Saft, Bio-Eier und Bio-Speck geben. Und kochen tue ich selber, ich freue mich!