Eigentlich habe ich die letzten Tage gar nicht in Phoenix verbracht sondern in Chandler, einer Stadt so gross wie Zürich, aber hier in Arizona doch nur die südlichste Teilgemeinde der Grossregion Phoenix. Meine Unterkunft hat ganz am Südrand von Chandler/Phoenix gelegen, so dass ich schon nach kurzer Zeit aus dem dichten Siedlungsraum raus bin und wieder über freies Land fahre. Kurz nach Maricopa kommt mir die Gegend bekannt vor. Vor zwei Wochen, an meinem zweiten richtigen Reisetag, bin ich auf dem Weg von Quartzsite nach Ajo hier durchgefahren. Hier liegt der Sonora Desert Park, eine geschützte Landschaft. Ich hatte gehofft, hier eine schöne Motorradstrecke zu finden, bin dann aber auf halber Strecke nach Maricopa ziemlich enttäuscht umgekehrt. Die Gegend hier ist flach, sandig und etwas eintönig, und die Strasse führt da möglichst ohne Umweg durch. Das war vor 14 Tagen so und daran hat sich bis heute auch nichts geändert. Es ist einfach so, dass ich heute von Phoenix nach Yuma fahren will, und da muss ich hier eben durch.
Zwischen Maricopa und Gila Bend wird es Zeit für eine erste kurze Pause. Während ich im Sand am Strassenrand unter dem Halbschatten von Büschen und kleinen Bäumen stehe fährt in etwa 200 m Entfernung gerade einer dieser unendlich langen Containerzüge vorbei, die ich hier in den USA schon öfter gesehen habe, und ich schaue zu, wie er sich diese dicke und laute Eisenschlange langsam und unaufhörlich in Richtung Küste schiebt.
Etwa 150 Meilen später verlasse ich den Interstate Highway 8 für einen Augenblick, um zu tanken und Mittagsrast zu machen. Während ich dastehe fährt ein Bus vor, der einen Anhänger mit zwei Toitoi-Toiletten nachzieht. Aus dem Bus steigt eine Gruppe von Mexikanerinnen und Mexikanern. Der Kleidung nach scheinen es Wanderarbeiter zu sein, die offenbar froh sind, dass sie hier eine Pause machen können und nicht die Toitoi-Toiletten benutzen müssen. Ausserdem ist es auch für sie Zeit für die Mittagsrast. Das Bild mit den Mexikanern und ihrem Toitoi-Anhänger vor Augen sehe ich auf der Weiterfahrt nach Yuma, dass es hier viele solche Busse mit mobilen Toiletten gibt.
Bereits um15.00 Uhr komme ich in Yuma an. Wunderbar warm ist es hier. Gleichzeitig ist es aber auch ziemlich dunstig. Bei mir zu Hause ist der Dunst ein Zeichen für stabil schönes Wetter. Das ist hier aber nicht so. Hier weht nämlich immer ein böiger Wind. Die Windstösse wirbeln die lockere Ackererde auf und hüllen damit alles in feine, schmutzige Dunstwolken.
Ich erinnere mich, wie unser Geografielehrer am Gymnasium uns das Problem der Bodenerosion in den USA erklärt hat. In den USA haben die Farmer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Ackerboden sehr tief geplügt und dann feingehackt. Sie wollten so eine möglichst tiefgründig lockere Erde bekommen. Aber der böige Wind, von dem es hier ziemlich viel gibt, ist schon damals über die freie Ebene gefegt. Dabei hat er laufend die oberste, feine Erdschicht aufgewirbelt und weggetragen. So ist die fruchtbare Erdschicht immer dünner geworden. Also sind die Farmer beim Tiefpflügen bald auf eine tieferliegende Lehmschicht gestossen. Die war aber bei weitem nicht so fruchtbar wie die oberste Humusschicht. Darum mussten die Farmer der Fruchtbarkeit mit sehr viel Kunstdünger nachhelfen.
Die dunstig-schmutzigen Böen und der penetrante Geruch nach Kunstdünger lassen mich vermuten, dass sich daran in den letzten 40 Jahren nicht viel geändert hat. Dabei wäre die Abhilfe eigentlich ganz einfach. In den Dörfern, in denen ich aufgewachsen bin, hat man nämlich ein ähnliches Problem gehabt. Unsere Bauern haben aber - wie an vielen anderen solchen Orten auch - eine Lösung gefunden. In den weiten und oft überfluteten Mäandern des Aaretals kurz vor Solothurn hat man während dem zweiten Weltkrieg das Aare-Schwemmland trockengelegt. Dadurch hat man Ackerland mit feiner fruchtbare schwarze Erde gewonnen. Weil aber auch diese Region einer weiten Ebene liegt ist auch da der Wind darübergefahren. Auch da hat der Wind die Erde zuerst ausgetrocknet und dann gleich mitgenommen. Die Bauern im Aaretal haben dann ziemlich schnell Windschutzhecken angelegt, um die Kraft des Windes zu brechen. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Vater einmal beim Mittagessen erzählt hat, dass einige Bauern es besonders gut hätten machen wollen. Sie waren der Meinung, man müsse mit den Windschutzhecken den Wind von den Feldern fern halten. Darum haben sie die Hecken hoch und dicht werden lassen. Das hat aber zur Folge gehabt, dass der Wind hinter den dichten und Hohen Hecken heftige Wirbel gebildet hat. Dadurch ist dort die lockere Erde aufgewirbelt und genau gleich weggetragen worden wie vorher, als es noch keine Windschutzhecken gegeben hatte. Mein Vater war etwas ärgerlich, als er das erzählt hat. Das hat mich vermuten lassen, dass man sich schon damals mit Bodenerosion und Windschutzhecken ausgekannt hat. Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an diese Episode an unserem Mittagstisch. Seither weiss ich unverbrüchlich, dass Windschutzhecken sehr gut vor Bodenerosion schützen können. Sie dürfen aber nicht zu hoch und nicht zu dicht sein. Sie sollen den Wind ja nicht abhalten, sondern nur brechen.
Aber hier in Arizona führt man solche Diskussionen nicht. Hier gibt es ja gar keine Windschutzhecken. Also können die auch nicht zu dicht oder zu hoch sein. Dafür wirbelt an einem Tag wie heute der Wind seine schmutzigen Dunstwolken durch die weite Ebene. Und gleichzeitig zerstäubt er den aparten Odeur von Kali, Nitrat und Phosphor.
Die Dame im Motel in Yuma ist indisch-stämmig. Anders als vor zehn Tagen in Showlow gibt es hier aber keine Probleme mit unseren Dialekten. Während ich auf die Verbindung des Kreditkartenterminals warte sehe ich an der Rückwand des Büros ein Bild, auf dem eine indisch-stämmige Frau zusammen mit Bill Clinton zu sehen ist. Ich frage die Dame, ob das ein Bild von ihr zusammen mit Bill Clinton sei. Sie macht ein distinguiertes und ernstes Gesicht, als sie mir antwortet, aber ihre Augen strahlen: „No, this is my daughter, she is working for his foundation“. Tja, so sind wir eben manchmal, wir stolzen Eltern unserer grossen Kinder.
Yuma ist eine wenig attraktive Stadt. Aber ich fühle mich in diesem Motel hier wohl und schlafe hier sehr gut. Darum bleibe ich noch einen Tag und eine Nacht länger hier. So kann ich in Ruhe meinen Blog nachführen. Ausserdem sollte ich mir noch überlegen, wie ich von hier nach San Diego und von da aus weiter reise.