San Diego – Escondido

Soll ich heute wirklich aufbrechen und meine Reise fortsetzen? Eigentlich würde ich gerne noch eine Nacht hier in San Diego verbringen, in diesem angenehmen, grosszügigen und sauberen Motel. Ich muss mir grosse Mühe geben, um mich aufzuraffen und vom Ruhemodus wieder auf den Tourenmodus umzustellen.

Schliesslich setze ich mich vor meine Landkarten und beginne mit der Planung. Meine nächste Zielregion liegt zwischen San Diego und Huntington Beach an der Küste sowie Ocotillo und San Bernardino im Hinterland. Zwei Tage will ich für die schönen Strecken dieser Region hier einsetzen. Heute werde ich mich im südlichen Drittel umschauen, morgen im mittleren Drittel. Das nördliche Drittel liegt bereits im Grossraum Los Angeles. Diese Region werde ich nur durchfahren, um in die Berge nördlich von Pasadena und San Bernardino zu gelangen. Nachdem die heutige Route festgelegt ist packe ich meine Sachen zusammen und belade Olga. Jetzt, wo es wieder losgeht, stellt sich auch die Reiselust wieder ein.

Ebene von Jamul

Nach einer halben Stunde liegt die Stadt San Diego und ihre Agglomeration hinter mir. Östlich von San Diego liegt die Ebene von Jamul. Hier sehe ich vor allem grosse und schöne Anwesen mit grosszügiger Aussicht auf die Landschaft. Offenbar wohnen hier Leute mit etwas Geld und einer Vorliebe für das Ländliche.

Eichhörnchen

An einer Strassenkreuzung mitten in den Wiesen und unter Bäumen halte ich an. Ich weiss gerade nicht, wie es weitergehen soll. Wären die Strassen hier nicht geteert, dann könnte der Ort hier problmlos als Kulisse für einen Westernfilm durchgehen. Hier gibt es grünes Weideland, eine alte Tränke, weidende Pferde und Rinder und alte Bäume mit tief herabreichenden Ästen. Ein perfekter Ort für meine Mittagspause. Ausserdem legt ein Eichhörnchen für mich auf der Wiese vor mir eine Extra-Showeinlage ein: Zuerst schaut es mich lange prüfend an. Dann sucht es Nüsse, setzt sich hin und frisst sie. Ab und zu schickt es einen Kontrollblick zu mir hinüber: Ist er noch da? Guckt er noch zu? Als es sieht, dass sein Publikum noch da ist, macht es weiter: Es versteckt sich, kommt wieder hervor, sucht wieder wieder Nüsse, frisst sie, versteckt sich wieder, usw. Ich kriege tatsächlich meine eigene Vorstellung des "most famous squirrell circus". Toll!

Mittlerweile weiss ich wieder, wie es weitergeht. Ich packe zusammen, winke meinem Eichhörnchen zum Abschied und mache mich wieder auf den Weg. Bis zum Lake Cuyamaca fahre ich hinter zwei Harleys her. Für einmal bedienen die beiden das gängige Negativ-Image nahezu vollständig: Sie tragen lediglich einen Halbschalenhelm auf dem Kopf, führen riesige Harley-Embleme auf ihren Lederjacken, machen einen unglaublichen Krach, kommen dabei kaum um die Kurven herum und nehmen auf nichts und niemanden Rücksicht. Am Lake Cuyamaca verliere ich die zwei. Na, dieser Verlust ist wohl eher ein Gewnn.

Meine Route führt über den Mount Laguna, die Aussichtskrete der Region, wieder zur I8 und nach Osten bis Ocotillo. Hinter dem klangvollen Namen verbirgt sich ein Dorf in der Wüste mit ein, zwei Tankstellen, ein paar Shops und vielen Wohnwagen. Dort beginnt der Imperial Highway – auch ein klangvoller Name, der vereinfacht S2 genannt wird. Die S2 führt durch die Wüste, am Noname-Canyon vorbei und dann in die Hügelregion der Wüste. Es ist warm, wolkenlos und es hat kaum Verkehr. Beim Gleiten auf dieser einsamen, kurvigen Strecke wird die gute Laune gratis frei Haus geliefert.

Anfahrt auf Banner

Nach einer wunderbar langen Wüstenwanderung führt die Strasse S2 noch einmal über eine Bergkante. Dahinter breitet sich die Ebene von Banner aus, die von der schnurgeranden S2 bis zum Horizint drchschnitten wird. Gleich dahinter liegen die Berge, durch die ich wieder zurück auf die Pazifikseite komme.

Mittlerweile ist es nach 15.00 Uhr und der Verkehr hat zugenommen. Unterwegs habe ich vielerorts lokale Märkte mit irgendwelchen Attraktionen gesehen. Die haben offenbar viele Leute aus der Stadt dazu gebracht, heute zum Einkaufen und zum sightseeing aufs Land zu fahren. Und alle diese Städter sind jetzt wieder auf dem Heimweg und verstopfen mit ihrem entspannten Getucker die Strassen. Die Gegend und die Strecken hier sind wirklich sehenswert. Aber bei diesem dichten und langsam stockenden Verkehr muss ich mich so sehr auf die Kolonnen vor und hinter mir konzentrieren, dass keine Zeit für die Landschaft bleibt.

Gegen 18.00 Uhr komme ich endlich in Escondido im Motel an. Die Rezeption wird von zwei junge Hispanics bedient, einem Mann und einer Frau zwischen 20 und 25. Beide scheinen noch ziemlich neu im Geschäft zu sein. Die junge Frau nimmt meine ID, schaut sie eine Weile ratlos an und fragt mich dann: „Don’t you have a Californian ID, Sir?“ Das ist ja vielleicht eine kreative Idee, mit Schwierigkeiten umzugehen, aber leider habe ich nur einen Schweizer Personalausweis. Eine ganze Weile lang diskutieren die beiden miteinander. Ich vermute, dass sie Spanisch reden. Auf jeden Fall verstehe ich kein Wort. Schliesslich merke ich, dass sie ein Problem mit dem Umlaut in meinem Namen haben. Auf meiner ID ist mein Name mit „ü“ geschrieben, auf der Booking-Reservation und auf der Kreditkarte mit „ue“. Als ich das merke kann ich das schnell erklären. Dann fragt mich der junge Mann nach meiner ständigen Wohnadresse. Der Einfachheit halber schreibe sie für ihn in Blockschrift auf. Mit diesem Zettel ausgerüstet macht er sich wieder am PC zu schaffen. Allerdings nicht für lange, denn nach einer Weile fragt er: „Don’t you have an address in California, where you live, Sir?“ Ich könnte ihm das Motel angeben, in dem ich gerade an der Rezeption stehe. Aber weil ich fürchte, dass er diesen Witz wohl kaum goutieren würde, verkneife ich mir das. Stattdessen gebe ich mit einem bedauernden Schulterzucken zu, dass ich leider keinen Wohnsitz in Kalifornien habe. Offenbar hat er Schwierigkeiten mit der Postleitzahl meiner Adresse. Leider kann ich ihm da nicht weiterhelfen, denn in der Schweiz haben wir vierstellige Nummern, und in den Staaten müssen sie fünfstellig sein. Irgendwie kann er das Problem aber lösen und ich bekomme endlich meine Zimmerkarte.

Mit meinem Gepäck kämpfe ich mich die Treppe hoch zum ersten Stock. Dort wird der Weg zu meinem Zimmer durch einen Mann in einem Rollstuhl versperrt. Dass der Mann in einem Rollstuhl sitzt, wäre eigentlich gar kein Problem. Aber er hat demonstrativ ein Bein ausgestreckt auf dem Balkongeländer abgelegt, so dass man nur mit Mühe an ihm vorbeikommt. Am Boden um ihn herum hat er eine ziemliche Sauerei aus Essensresten und Raucherwaren angerichtet. Wenn ich mir das so anschaue, dann kriege ich den Eindruck, als ob es zu seinem Programm gehöre, Ärger zu machen. Und das wird also mein neuer Zimmernachbar sein. Etwas skeptisch schliesse ich mein Zimmer auf und stelle mein Gepäck ab. Draussen höre ich meinen neuen Nachbarn demonstrativ vor sich hin schimpfen und alle möglichen Dinge auf den Boden werfen. Das riecht mir doch sehr danach, dass hier jemand Ärger sucht. Etwa fünf Minuten stehe ich in meinem Zimmer, höre und schaue mir das an, und dann weiss ich: Das will ich nicht. Weder bin ich hier, um mich zu ärgern, noch um anderen als offensichtliche Ärgerniskulisse zu dienen. Es ist etwa zwanzig Jahre her, dass ich zum letzten Mal in einem Hotel ein anderes Zimmer verlangt habe, aber heute ist es wieder soweit. Erstaunlicherweise fragen die beiden Hispanics an der Rezeption überhaupt nicht nach, sondern tauschen anstandslos meine Zimmerkarte gegen eine Neue. Prima! Mein neues Zimmer liegt im Parterre, etwa zehn Meter von einem beheizten Whirlpool entfernt.
Ich fahre noch kurz in den Ort um etwas einzukaufen. Dann setze ich mich für eine halbe Stunde in den Whirlpool und lasse mich von warmen Wasserblasen massieren. Dabei werden auch alle komischen Episoden von heute sanft abgesprengt. Das gibt einen wunderbar entspannten Abend mit einem späten Abendessen, und dank den Fruchtgummis aus der Greenery in Durango eine ruhige Nacht mit sanftem Schlaf. Richtig onomatopoetisch klingt das in Englisch: a calm night.

Reiseroute am Samstag, 2. April 2016

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