Yosemite

Eigentlich müsste es heute einen sehr guten Tag geben. Nach den zwei Wartetagen in Chico kann ich endlich weiterfahren. Vor mir liegt eine längere Etappe mit einem grossen Ziel: Dem Yosemite-Nationalpark, dem ersten grossen Nationalpark auf meiner Tour.
Aber der Tag heute fängt gar nicht gut an. Ich habe schlecht geschlafen, habe etwas Kopfschmerzen und fühle mich eigentlich gar nicht so richtig fit. Jetzt ist zwar mit Olga wieder alles in Ordnung. Aber offenbar bin ich jetzt dran und bräuchte eigentlich einen kleinen Service.
Auch wenn ich kräftemässig nicht so ganz auf der Höhe bin gelingt es mir doch, mich aufzuraffen und rechtzeitig in Chico loszufahren. Das ist auch dringend nötig, denn die Fahrt bis zum Yosemite dauert etwa sechs Stunden.

Ebene nach Chico

Zum Abschied von der Region um Chico erlebe ich noch einmal diese Mischung aus grüner Prärie und vulkanischer Gegend. Dann gilt es einfach zu fahren, fahren, fahren, alles geradeaus nach Süden.

Hügellandschaft nach Stockton

Etwa 200 km lang ist die Fahrt nach Süden, von Chico über Sacramento bis nach Stockton. Hier bin ich wieder auf der Höhe von San Francisco, einfach 130 km weiter im Landesinneren, und hier verlasse ich den schnurgeraden Highway. Jetzt wird die Fahrt allmählich interessanter, denn die Strecke führt mich in eine hügelige Gegend. Dreiviertel Stunden später verlasse ich in Copperopolis auch die State Route 4. Bei strahlendem Sonnenschein gelange ich über eine Nebenstrasse in eine malerisch schöne Gegend, durch die eine kurvenreiche Bergstrecke hinauf zum Yosemite Park führt.

Bergregion vor dem Yosemite 1

Bergregion vor dem Yosemite 2

Ich geniesse das Fahren hier. Es ist warm, der Verkehr ist erträglich und die Strassenverhältnisse sind gut. Aber weil ich nicht so fit bin lasse ich die Gedanken nicht so weit kreisen und gebe mir grosse Mühe, aufmerksam unterwegs zu sein. Das ist mir auch recht. Ich bin froh, wenn ich mich mit meiner etwas matschigen Birne nur auf die Strasse konzentrieren muss. Ein bisschen Aufmerksamkeitsreserve spare ich mir noch auf für den Yosemite. Und schliesslich taucht in der Ferne am Ende einer Schlucht der berühmte Felsen des Yosemite auf.

Yosemite-Felsen von weitem

Schlucht zum Yosemite-Valley

Vom Yosemite-Nationalpark sehe ich nur das Yosemite-Valley. Ich fahre hinunter ins Tal und drehe dort die übliche Runde für motorisierte Touristen.

Yosemite-Valley 1

Yosemite-Valley 2

Yosemite-Valley 3

Die Felsen, die wie gewaltige Skulpturen aus dem Boden in den Himmel wachsen, beeindrucken mich sehr. Offenbar geht es hier vielen so. Auch wenn alle Fahrzeuge mehr oder weniger an den gleichen Stellen halten, um zu schauen und um Bilder zu machen, ist heute, an diesem späten, sonnigen Nachmittag, eine ruhige und freundliche Stimmung unten in diesem Tal.

Yosemite-Felsen

Ich bin mit dem Rundkurs durch und fahre Richtung Ausgang. Irgendwie klappt das aber nicht. Da kommt keine Abzweigung nach Fresno, obwohl ich sie beim ersten Rundgang ganz deutlich gesehen habe. Ich fahre auch die zweite Runde zu Ende, diesmal schon etwas weniger friedlich gestimmt als beim ersten Mal, und dann sehe ich das Problem: Ich hatte eben das falsche Rechts genommen und mich darum verfahren. Gut, jetzt finde ich die Abzweigung nach Fresno.
Bis Fresno dauert die Fahrt noch etwa zwei Stunden. Das wäre für mich soweit kein Problem, wenn ich auf dieser tollen Strecke nur zufahren könnte. Aber die Leute, die hier in ihren Autos sitzen und Richtung Fresno fahren, haben ganz viel von dieser ruhigen Stimmung im Yosemite-Valley mitgenommen und tuckern seelenruhig vor sich hin. Irgendeinmal reisst mir der Geduldsfaden und ich fange an, das generelle Überholverbot situativ und individuell zu interpretieren. So wird es wenigstens ab und zu ein bisschen lustig beim Fahren. Aber seit ich mich im Valley unten verfahren habe ist bei mir die Stimmung etwas angespannt. So richtig Freude am Fahren kommt da nicht mehr auf. Ich will nur noch ins Motel nach Fresno, etwas zu Abend essen, und dann meine Ruhe haben.

Sonnenuntergang vor Fresno 1

Sonnenuntergang vor Fresno 3

Sonnenuntergang vor Fresno 2

Sonnenuntergang vor Fresno 4

Auf den letzten 20 Meilen nach Fresno kommt es dann doch noch anders. Ich merke es erst etwas spät, als ich mitten in einer ganz goldenen Abendstimmung stehe und begeistert Sonnenuntergangs-Stimmungsbilder knipse. Was ist denn mit mir los? Wo kommen plötzlich diese gute Laune und die friedliche Stimmung her. Einmal tief Luft holen, und die Sache wird klar. Ich weiss zwar nicht genau, was das ist, das hier gerade blüht, aber es macht aus mir jedenfalls einen zufriedenen Menschen. Gerade nach so einem anstrengenden Tag ist mir das ganz recht. Da poche ich nicht auf mein Recht auf schlechte Laune.

Die Ankunft in Fresno verläuft problemlos, trotz Abendverkehr. Allerdings ist das Motel doch eher so, wie es die schlechten Kritiken auf Booking beschrieben hatten, abgewirtschaftet und an einem Strassenstrich. Der Rezeptionist hat seine Sachen schon gepackt und wartet auf den Feierabend. Als Restaurant empfiehlt er mir ein Denny’s, einen Mac und einen Subway. Gibt es hier nichts Anderes? Nein, gibt es nicht. Dann frage ich halt Tante Google. Die bringt was Restaurants anbelangt auch nichts Besseres heraus. Dafür zeigt sie mir an, dass in etwa 7 km Distanz ein Whole Foods Laden ist. Dann gehe ich da hin und besorge mir ein Picknick. Whole Foods ist zwar nicht billig, aber dafür haben sie auch wirklich gute Ware. Als ich bezahlen will fragt mich der junge Mann an der Kasse irgendetwas, das ich beim besten Willen nicht verstehe. Er ist offensichtlich Secondo, es kann also ganz gut an uns beiden liegen, dass wir uns nicht verstehen. Nachdem er sich zweimal wiederholt hat fragt er, welche Sprache ich denn normalerweise spreche. German. Ach, das ist aber schade, französisch und italienisch habe er gelernt, nur Deutsch nicht. Das müsse er in dem Fall noch nachholen. So ein gerissener Lümmel, warte nur, das will ich jetzt sehen: „Mais si vous parlez français, vous pouver m’expliquer c’ que vous m’avez dit en français“. Jetzt fragt er nach: „Sorry, what?“ Und ich wiederhole es für ihn gerne noch einmal auf französisch. Er grinst und gibt auf, und ich verzichte im Gegenzug darauf, das Spiel auch noch auf italienisch durchzuziehen. Ausserdem habe ich es viel lieber mit einem liebenswürdigen Schlawiner zu tun als mit einem miesepetrigen Aufrechten.

Reiseroute vom Freitag, 15. April 2016

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