Nederland – Saratoga

Ich bin sehr gespannt auf das, was ich heute sehen werde. Hier in den Bergen von Colorado habe ich eine Route auswählen können, die für einen Motorradfahrer einige vielversprechende Strecken enthält. Dafür stehen heute keine Sehenswürdigkeiten auf dem Programm.

Der Bundesstaat Colorado hat die Form eines Rechtecks. Seine Grenzen bestehen lediglich aus vier geraden Linien in vier rechten Winkeln. Die östliche Hälfte von Colorado ist vorwiegend flaches Land, die westliche Hälfte vorwiegend bergig. In der Mitte verläuft von Norden nach Süden eine Bergkette. An deren Fuss im Osten liegt Denver, die Hauptstadt von Colorado. In Cortez ganz im Südwesten des Staates, bin ich in Colorado angekommen. Nederland liegt in den Bergen etwa auf dreiviertel Höhe des Staates, rund 100 Meilen nordwestlich von Denver.

Heute werde ich in den Bergen einen Bogen fahren und nördlich von Denver in die Ebene kommen. 20 Meilen weiter nördlich geht es dann wieder zurück in die Berge und am Westrand der Berge dann in Richtung Nordwesten nach Wyoming. In Saratoga in Wyoming werde ich heute Abend übernachten. Ich hoffe, dass ich aus dieser Position morgen möglichst nahe an den Yellowstone National Park heranfahren kann. Heute soll es also einen Tag mit schönen Motoradstrecken geben, morgen dann eine eher langweilige Durchquerung der Ebene.

Meine Planung für heute geht bestens auf. Es ist ja ganz recht, wenn ich ab und zu eine Route so fahren kann, wie ich sie geplant habe. Bis zur Ortschaft Estes Park fahre ich auf schönen, kurvenreichen Strassen durch die Berge. Die Landschaft erinnert sehr an die Schweiz: Verschneite Berge, grüne Hügel, ab und zu ein See.

Lake Lilly

Bighorn Schafe

Zwei einzelne Bighornschafe

Nach Estes Park führt ein Canyon durch die Bergkette hinaus in die Ebene nach Loveland. Der Canyon ist sehr schön zu sehen und zu fahren. Dort sehe ich auch zum ersten Mal eine Gruppe von Bighorn-Schafen. Die sind hier wild und frei, so wie in Arizona die Elche.
Nach der pfeifengeraden Traverse von Loveland nach Laporte tanke ich zur Vorsicht noch einma. Der Tankstellenwart meint, heute sei wohl deutlich besseres Wetter zum Motorradfahren als gestern. Ja, das finde ich auch, darum bin ich ja heute auch unterwegs. „Pass aber auf, in Richtung Nordwesten und Wyoming, na, ich weiss nicht“. Das klingt wie eine Warnung. Ist denn irgendetwas nicht OK in der Region oder ist ein Unwetter angekündigt? Das nicht, auf meine Nachfrage hin weiss er auch nicht mehr. Es ist offenbar mehr so das Gefühl eines Einheimischen

Cache la Poudre River in der Ebene

Enge Passage des Cache la Poudre River

Längere Zeit fahre ich dann über die Poudre Canyon Road. Im Poudre Canyon fliesst ein Fluss, der Cache la poudre River heisst. Ich weiss nicht, wie die Bewohner hier das aussprechen oder wie sie den Fluss in ihrer Umgangssprache nennen. Ich bin ja auch an einem Fluss aufgewachsen, an der Aare. Das ist ein sehr einfacher Name, der auch so ausgesprochen wird, wie er geschrieben wird. Wäre ich an diesem Fluss hier aufgewachsen, so wäre ich ein geschlagener Mann. „Wo sind sie aufgewachsen?“ „Am Cache la poudre River“ „Am wo?“ „Am Cache la Poudre River, das ist ein Fluss nordwestlich von Denver“. „Aha, und wie schreibt man das?“ Dann würden jetzt fünf mühsame Buchstabierminuten kommen, und dann würde wie immer die Königsfrage kommen „Und wie heissen Sie?“ „Bünger“ „Wie heissen Sie?“ „Bünger, Be ü en ge e er“ „Können sie das buchstabieren“ ... Also mir ist es ganz recht, dass ich an der Aare aufgewachsen bin, Bünger heisse ich ja schon.

Der Poudre Canyon ist genau so, wie ich es gehofft habe, landschaftlich sehr schön, und mit einer gut ausgebauten, schön zu fahrenden kurvenreichen Strasse, die einfach nie mehr aufhört.

Strasse m Schnee

Ebene mit Schneebergen vor Walden

Stattdessen führt die Strasse immer mehr in die Höhe, bis links und rechts richtig viel Schnee liegt. Es geht über einen Pass und dann auf der anderen Seite nicht mehr richtig hinunter, sondern hinein in eine riesige Hochebene.

Arapaho Süden

Arapaho Norden

Kurz vor dem Ort Walden ist das Arapaho Wildlife Refuge. Diese Gegend wurde offenbar so eingerichtet, dass sie als eine Mischung aus Wildtierpark und Nutztierhaltung funktioniert. Bei einem Informations- und Aussichtspunkt ist beschrieben, wie erste Siedler hierher kamen, zuerst nach Gold gesucht haben und sich dann der Landwirtschaft zugewendet haben. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann soll es hier auch Kohle geben. Da hat es aber einmal in einem Kohlebergwerk einen Brand gegeben, der bis heute immer noch unterirdisch weiterschwelt. Ich stehe an diesem Informationspunkt und frage mich, was Siedler dazu bewogen hat, hier oben zu bleiben. Wir sind hier auf 2'500 Metern Höhe. Natürlich gibt es hier Grasland und Wasser in Fülle, aber es ist einsam hier, und die Winter werden wohl lang und kalt sein. Als ich mir das Land dann anschaue kommt etwas Sehnsüchtiges über mich. Doch, ich kann mir gut vorstelle, dass man hier bleiben möchte, in den schneefreien Zeiten Viehwirtschaft betreibt und Vorräte für den Winter anlegt, und im Winter dann zum Beispiel die vielen Weidenbüsche zu Korbwaren verarbeitet. Die Landschaft und die Umgebung hier hat etwas Anziehendes.
Das kann man vom Ort Walden hingegen so nicht sagen. So wie auch Nederland zeigt sich Walden als Ort, der noch vom abziehenden Winter gezeichnet ist. Vieles hier ist noch matschig und schmutzig. Aber auch sonst sehe ich beim Durchfahren nichts, was mich zum Verweilen einladen würde.

Hügel zwischen Walden und Wyoming

Gabelboecke

Nach Walden ist links und rechts der Strasse graugelbes Wiesland mit sanften grauen Hügeln. Nur noch 20 Meilen bis zur Grenze, ist hier angeschrieben. Kurz vor der Grenze scheuche ich noch ein paar Gabelböcke auf. Schon zum zweiten Mal heute sehe ich Wildtiere. Dann kommt die Grenze zu Wyoming.

Je weiter ich nach Wyoming hineinfahre desto mehr wird die Landschaft zu einem offensichtlich fruchtbaren Landwirtschaftsgebiet. Riesige Wiesen und Äcker, schöne Farm- und Wohnhäuser, hier ist es vielleicht etwas einsam, aber es scheint sich hier gut leben zu lassen.

Grenze zu Wyoming

Nach 16.00 Uhr komme ich in Saratoga an. Der Ort ist nicht gross, und wenn ich das richtig sehe, dann ist hier auch nicht gerade die Hölle los. Mein Motel ist zwar funktional, aber nicht gerade sympathisch. Auf dem Parkplatz vor meinem Zimmer liegt noch ein alter Hundekot. Wahrscheinlich stammt der noch von einem der Hunde der ersten Siedler. Das Motel liegt gleich am North Platte River. Ich will rasch über die kleine Motelwiese zum Fluss, lasse es aber nach ein paar Schritten bleiben. Die ersten Siedler hier hatten offenbar viele Hunde. Auch mein Spaziergang durchs Dorf fällt kurz aus. Als ich vor einem geschlossenen Restaurant stehe und hineinspähe hupt es auf der Strasse. Es ist ein Sheriff, der mir mit einem Handzeichen irgendetwas sagen will, leider verstehe ich es nicht. Ich gehe rasch etwas einkaufen, schaue dann noch, wie ich morgen zum Yellowstone National Park komme, und richte mich dann so ein, dass ich es in meinem kalten Zimmer doch noch etwas warm habe.

MO 25.04.2016

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