Boise – Lewiston

Hier in Boise habe ich zwei ruhige, sonnige und warme Tage verbracht. Heute mache ich mich wieder auf den Weg nach Norden. Es ist Sonntag, der erste Mai. Zwischen neun und zehn Uhr sind die Strassen hier noch leer, kein Verkehr, keine Kundgebungen. Ich weiss gar nicht, ob in den USA der erste Mai als Tag der Arbeit gefeiert wird.
Kurz vor dem Ortsende tanke ich, prüfe den Reifendruck und ziehe meine Thermowäsche gleich wieder aus. So schön warm ist es hier. Ich stehe gerade in Unterhosen und Socken an der Tankstelle und schäle mich aus meinen Zwiebelhüllen, da kommt ein Typ auf mich zu. Meistens fragen solche Leute nach Geld, um sich Sprit für die Weiterfahrt kaufen zu können. Der hier aber fragt, ob ich ihm Werkzeug ausleihen könne, damit sein Freund sein Auto stehlen kann. Ich muss ein ziemlich blödes Gesicht machen, denn er erklärt mir sein Anliegen gleich mehrmals. Aber nein, für solche Sachen habe ich kein Werkzeug  dabei.

Payette River 1

Payette River 2

Heute fahre ich fast schnurgerade nach Norden. Mein Ziel ist Lewiston, eine kleine Stadt an der Westgrenze von Idaho. Meine Route führt durch das Spring Valley, eines der Naherholungsgebiete von Boise. Über einen sehr niedrigen Pass komme ich ins Tal des Payette River. Idaho ist ja offenbar bereits tiefstes Hinterland der USA. Aber hier fahre ich auch noch durchs Hinterland von Idaho. Eine gut ausgebaute und kurvenreiche Strasse verläuft direkt neben dem Payette River durch ein malerisches, enges V-Tal. Dem  Payette River entlang wird offenbar schon lange Holzfällerei betrieben. Eine Informationstafel beschreibt, wie hier vor über 100 Jahren eine Gruppe Holzfäller für 100’000 $ Dynamit gekauft hat, um damit einen Durchgang vom Nordast zum Hauptast des Payette River zu sprengen. So wollte man die Wartezeit im Winter verkürzen und gleichzeitig einen schnellen Flösserweg für das geschlagene Holz schaffen. Das Projekt ist aber nicht sehr erfolgreich gewesen. Nur die Hälfte des Holzes ist am Zielort angekommen. Ausserdem sind vier Holzfäller bei der Flösserei umgekommen.

Bach mitten durch die Wiese

Wiese mit Schneebergen 1

Alte Häuser

Schräge Tanne

See

Teichrose

Der Oberlauf des Payette Rivers ist nur noch ein grosser Bach in einer schwach besiedelten Hochebene. Hier ist es so flach, dass sich mehrere Seen gebildet haben. So ist eine Bilderbuchlandschaft entstanden: Weite, grüne Wiesen, tiefblaue Seen, schneebedeckte Berge, Bäche, die in ihrem natürlichen Bett mitten durch die Wiesen laufen, verfallene Hütten, Bäume, die schräg in den Himmel ragen. Das Hinterland des Hinterlandes zeigt sich malerisch.

Little Salmon River 1

Little Salmon River 2

Kurz nach den Seen habe ich offenbar die Wasserscheide erreicht. Über weit geschwungene Kurven geht es wieder bergab ins Tal des Little Salmon Rivers hinein. Für den Oberlauf dieses Flusses mag der Name ja zutreffen. Aber etwas weiter unten muss ich schon etwas schmunzeln. Ich frage mich, wie wohl der Big Salmon River aussehen muss, wenn der Fluss hier nur der Little Salmon River sein soll. Das finde ich auch bald heraus. Bei Riggins, einem kleinen Strassendorf, mündet der Little Salmon River in den Salmon River. Noch etwa 20 Meilen folge ich dem Fluss, bevor die Route 95 den Fluss verlässt und über den White Bird Hill Summit in die Ebene von Grangeville führt. Während dem Fahren überlege ich mir, wie der Pass hier auf Deutsch heissen müsste: Weissvogelhügelpass. Daraus lässt sich bestimmt ein Schnabelwetzer machen. Fliegen flügge Weissvögel flink über den Weissvogelhügelpass, passen viele flügge Weissvögel über weniger flügge Weissvögel auf. Naja, geht so.

Grangeville ist ein Ort mit etwa 3'000 Einwohnern. Von hier aus habe ich zwei Möglichkeiten, um nach Lewiston zu fahren. Die Route 13/12 führt  nach Nordosten durch ein Naturschutzgebiet. Diese Strecke wäre zwar schön und für Motorradfahrer interessant, macht aber einen ziemlichen Umweg. Über die Route 95 komme ich deutlich schneller nach Lewiston. Sie führt nach Nordwesten durch ein Landwirtschaftsgebiet . Mit einigem Bedauern biege ich in Grangeville auf die Route 95 ab.

Land mit fetter schwarzer Erde

Das Landwirtschaftsland hier besteht aus schwarzer, fetter Erde. Hier lässt es sich als Bauer bestimmt gut leben. Hier beginnt aber auch das Reservat der Nez Perce. Das Land der weissen Farmer kann man ganz leicht vom Reservatsgebiet unterscheiden: Der Boden im Reservat ist nicht fett und nicht schwarz, sondern graubraun und lehmig. Die Indianer haben nicht nur ihr grosses und reiches Territorium abgeben müssen. Man hat ihnen den eindeutigen schlechteren Teil der Gegend hier zugewiesen. Und sie haben ganz offensichtlich keine starke Verhandlungsposition mehr gehabt. Zwischen Grangeville und Lewiston hadere ich sehr mit dem Umstand, dass die Siedler und die Neuankömmlinge derart rücksichtslos vorgegangen sind und das gute Land an sich gerissen haben. Nachdem die Nez Perce von der US-Armee besiegt worden waren, sind sie wie Tiere in offenen Waggons deportiert worden und dabei reihenweise jämmerlich zugrunde gegangen. Das war rund 60 Jahre vor dem Holocaust. Ein anderes Land, eine andere Tätergruppe, andere Opfer, aber dieselbe Methode. Es braucht eine Weile, bis ich merke, dass mein Groll niemandem weiterhilft.

Der Lapwai Creek ist zwar nur ein Bach, führt aber durch ein breites Tal zwischen grossen, sanften, grünen Hügeln bis zum Clearwater River. Auch hier dominieren diese herzerwärmenden frühlingsgrünen Hügel das Landschaftsbild. Die Stadt Lewiston liegt da, wo auch der Clearwater River in den nächstgrösseren Fluss mündet, den Snake River. Der Clearwater River scheint bereits Schmelzwasser zu führen, denn im Flussbett ragen Büsche aus dem Wasser heraus.

Sanfte Hügel 1

Sanfte Hügel 2

Clearwater River

Auf den letzten Meilen vor Lewiston liegt dann ein ganz eigenartiger Duft in der Luft. Es duftet nicht nach Ginster, sondern viel süsslicher und auch etwas faulig-überreif. Vielleicht sind es die Kastanien oder Akazien, die hier blühen.
Nach 17.00 Uhr komme ich im Motel an. In Lewiston ist offenbar an einem Sonntagabend nicht viel los. Das Motel hat vielleicht vier oder fünf Gäste. Mir soll’s recht sein. Ich bekomme ein schönes, grosses Motelzimmer. Heute Abend würde ich gerne Essen gehen. Ich finde aber kein schlaues Restaurant, das heute offen hat. Da bleiben eben nur der Supermarkt und ein Picknick.

SO 01.05.2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert