Ich habe zwar nur einen Tag Pause in Portland gemacht. Trotzdem freue ich mich auf die Fahrt nach Seattle. Ich habe meine Fahrt heute so geplant, dass ich etwa fünf Stunden unterwegs bin. Auch wenn ich unterwegs irgendwo mehr Zeit brauche als gedacht sollte das reichen, um rechtzeitig und ohne Erschöpfung in Seattle anzukommen.
Bevor ich packe und lade fahre ich im T-Shirt noch schnell die 50 Meter zur Tankstelle, um dort zu tanken und den Reifendruck zu prüfen. Auf dem Rückweg macht mich ein Polizist aus seinem Streifenwagen heraus darauf aufmerksam, dass ich keinen Helm trage. Es ist aber auch ein Elend hier. Nie weiss man, was in welchem Bundesstaat erlaubt ist, und die Amerikaner haben 50 davon. Der helvetische Föderalismus ist ja schon anstrengend genug, aber wenigstens sind so banale Themen wie der Strassenverkehr weitgehend eidgenössisch geregelt, und sonst sind es immerhin nur 26 Teilstaaten, die wiederum auch so klein sind, dass man durch einen Kanton relativ schnell durchgefahren ist. Also, in Portland bin ich kurz ohne Helm zur Tanke gefahren und rufe dem Polizisten zu, ich wohne ja gleich hier im Motel. Das reicht ihm, gottseidank.
Die Strecke von Portland nach Seattle wäre eigentlich in drei Stunden zu machen. Ich möchte aber gerne noch etwas vom Hinterland der Nordweststaaten sehen und habe darum noch einen Abstecher in den Mount Rainier National Park geplant. Nach etwa einer Stunde fahre ich vom Freeway 5 ab nach Osten. Es geht durch Wälder, an Stauseen entlang, dann wieder durch Wälder. Zum fahren ist es hier sehr schön. Es gibt einfach kaum etwas zu sehen. Nach etwa eine halben Stunde steht am Strassenrand eine Hinweistafel, dass die Strasse Nummer sowieso nach Randle über den Pass wegen Schnee gesperrt sei. Die Nummerierung der kleineren Strassen hier ist aber etwas uneinheitlich, so dass ich nicht sicher bin, was das für mich bedeutet. Nachdem mehrere Trucks in vollem Tempo an mir vorbeigedonnert sind nehme ich an, dass der Warnhinweis nicht meine Strasse betrifft und fahre weiter.
Nach einer weiteren Viertelstunde halte ich bei einem Holzfäller an und frage, ob die Strasse nach Randle frei sei. Würde er nicht englisch sprechen, ich käme mir vor, wie wenn ich zu Hause wäre. „Ja wissen Sie, nein, die Strasse nach Randle, das ist ja der Pass, oder, und da liegt noch Schnee. Gut, letztes Jahr, da war er um diese Zeit ja schon frei, das war auch ein ziemlich warmer Frühling letztes Jahr, und eigentlich hat man damit gerechnet, dass er zum Memorial Day Ende Mai auch dieses Jahr wieder frei sein würde, aber das weiss man ja jetzt noch nicht, weil eben noch immer so viel Schnee liegt, aber im Moment kann man da noch nicht durch, eben, da liegt zu viel Schnee“. Gut, das habe ich begriffen. Gibt es ausser der Passstrasse noch eine andere Möglichkeit, um nach Randle zu kommen? „Ha, nach Norden, tja, also nein, oder, da gibt es eigentlich nur die zwölf und die fünf um nach Norden zu kommen, das ist halt schon ein Umweg, alles wieder nach vorne und dann nach Norden und dann nach Randle, aber nein, eine andere Strasse nach Norden gibt es nicht ausser über die zwölf und die fünf“. Ich bin ja froh über die profunde Auskunft, aber der Holzfäller hier hat wahrscheinlich gerade sein Wochenkontingent an Kommunikation verprasst, denn er ruft gerade noch seinem Hund, tippt zum Abschied an die Mütze und geht dann wieder zu seinen Baumstämmen. Ich mache mich auf den Rückweg zur I5.
Beim Mittagshalt überlege ich mir, ob ich direkt nach Seattle auf der I5 durchfahren soll, aber gemäss Verzeichnis verfügt die Gegend hier über so schöne Motorradstrecken, dass ich wenigstens noch einen kleinen Schwenker machen will.
Die Route 12 ist die Hauptverkehrsstrasse nach Randle. Weil aber die Gegend nach Randle etwas höher gelegen ist und dort mit Schnee und gesperrten Strassen zu rechnen ist biege ich vor Randle nach Norden ab und fahre wieder durch Wälder und an Stauseen entlang nach Elbe. Dieser Ort kann eigentlich nur von deutschen Einwanderern gegründet worden sein. Richtig, die paar Häuser, die Elbe ausmachen, tragen ganz klar deutsche Spuren.
Das war’s dann aber auch schon bald mit Sehenswürdigkeiten.
Nach einer kurzen Strecke durch das malerische Hinterland des Staates Washington geht es bald wieder über die Hauptverkehrsachsen nach Seattle. Dort komme ich gerade rechtzeitig, um am Feierabendverkehr teilzunehmen. Das macht die ganze Sache zwar etwas hektisch, aber nach zwei, drei Trial- & Error-Fahrten komme ich in meinem Hotel in Downtown Seattle an. Das Hotel Max ist ein ziemlich edler, grosser Schuppen. Eigentlich steige ich nicht in so teuren Häusern ab. In Vancouver und in Seattle mache ich eine Ausnahme. In diesen Städten bin ich jeweils für einen Tag. Da macht es einfach keinen Sinn, ein preiswertes Motel an der Peripherie zu buchen. Stattdessen leiste ich mir an diesen beiden Orten ein etwas teureres Hotel, bin dafür mittendrin und kann in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, die Umgebung zu Fuss erkunden.
Im Hotel Max esse ich heute auch zu Abend, etwas, das sich definitiv nicht lohnt: Zu laut, zu langsam und weder richtig gut noch richtig preiswert.