Jasper – Prince George

Heute gibt es Frühstück mit Aussicht auf das Columbia Icefield. Oder ist es der Athabasca-Gletscher? Das habe bisher nicht herausgefunden. Ich habe gehofft, dass ich beim Frühstück den freundlichen Kellner von gestern Abend wieder sehen würde. Gerne hätte ich mich bei ihm für den schönen Glückskeks bedankt. Leider arbeitet er heute Morgen nicht. Da bleibt mir nichts, als ihm eine Nachricht mit meinem Dank und meinen besten Grüssen zu hinterlassen.

Heute verlasse ich die grossen Nationalparks und die Gletscherregion. Die Fahrt vom Columbia Icefield bis Jasper dauert etwa zwei Stunden. Hoffentlich finde ich auf diesem Teilstück ein paar schöne, kurvenreiche Abschnitte. Kurz nach Jasper fahre ich während vier Stunden über den Yellowhead Highway durch das Tal des Fraser River bis nach Prince George. Das soll eine ziemlich gerade und etwas langweilige Strecke sein. Nur zu gern hätte ich heute eine andere, kurvenreichere und interessantere Route gewählt. Die schlägt aber einen weiten Bogen über Grand Cache und Grand Prairie. Dazu hätte ich zehn Stunden Fahrt und einen Umweg von mehreren hundert Kilometern in Kauf nehmen müssen. Ich bin zwar nur zum Vergnügen hier und kann so lange und so weit fahren, wie ich will. Aber selbst unter diesen Umständen würde diese Streckenwahl nun wirklich keinen Sinn machen.

Kurz vor zehn Uhr bin ich wieder unterwegs. Zwischen dem Columbia Icefield und Jaspers halte ich häufig an, um zu fotografieren. Aus dem Kontrast zwischen dem stahlblauen Himmel und den Bergen entstehen immer wieder eindrückliche Szenerien. So sehr ich mich auch bemühe gelingt es mir nicht, dieses Eindrückliche auf meinen Fotografien festzuhalten. Leider weiss ich nicht, wie ich das Besondere dieser Landschaften hier fotografieren könnte.




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Nach etwa einer Stunde lege ich bei den Sunwapta Falls den ersten Zwischenhalt ein. Die Wasserfälle hier interessieren mich nicht so sehr wie die Porträts von grossen Häuptlingen der kanadischen Indianer. Die werden hier in einem grossen Schaukasten gezeigt. Sehr differenziert berichten sie über das Leben und die Bedeutung der alten Chiefs. Eindrückliche Bilder der so ganz unterschiedlichen Charakterköpfe illustrieren die Geschichten. Sie lassen eine leise Ahnung von den schwierigen Entscheidungen und Auseinandersetzungen unter den Stämmen aufkommen. Die Chiefs hatten im 19. Jh. jeweils für sich und für ihren Stamm Wege finden müssen, um mit der Ankunft der Weissen und der dadurch veränderten Lebenssituation klar zu kommen. Dabei haben sie sich für Frieden oder Gewalt, Verhandeln oder Beharren, Rechte einfordern oder auf Rechte verzichten, Überleben oder Risiken eingehen entscheiden müssen. Die Biografie von Chief Big Bear finde ich besonders beeindruckend. Offenbar hat das Schicksal dieser spannenden Persönlichkeit eine sehr komplizierte Rolle zugeteilt.


Poundmaker
Old Sun
Medicine Calf
Eagle TailCrowfoot


Bull Head
Big PlumeRed Crow

Big BearPakan

Später nehme ich mir in Jasper nur gerade Zeit um zu Tanken und etwas für unterwegs einzukaufen. Bei den Sunwapta Falls habe ich lange vor den Geschichten der Chiefs gestanden. Jetzt will ich wieder zügig vorankommen und mache mich darum ohne weitere Pause auf den Weg.
Aber schon kurz nach Jasper fange ich an zu gähnen und werde müde und unaufmerksam. So wird das nichts mit dem zügigen Vorankommen. An einer sonnigen Stelle halte ich an und lege einen kurzen Verpflegungshalt ein. Während ich kauend in der Sonne stehe überprüfe ich mehr zufällig mein Mobile Phone und sehe, dass jemand mit einer mir unbekannten Nummer vor wenigen Minuten versucht hat, mich anzurufen und mir eine Voicemail hinterlassen hat. Das hat es ja schon lange nicht mehr gegeben.

Die Nachricht ist von Roland, einem Nachbarn in der Heimat. Roland arbeitet im Berufsbildungszentrum in Olten. Er ist dort Lehrer und leitet ausserdem den Fachbereich Allgemeinbildung. Im letzten Dezember sind wir uns zufällig begegnet, und ich habe ihm erzählt, dass ich wieder auf Stellensuche bin. Zehn Tage später hat er sich bei mir gemeldet und mir eine Teilzeitstelle für neun Lektionen am Berufsbildungszentrum angeboten.
In der Schweiz ist es zwar jetzt schon nach 20 Uhr, aber ich rufe trotzdem zurück. Roland hat tolle Neuigkeiten. Er bietet mir ein fast doppelt so grosses Teilpensum am Berufsbildungszentrum an. Eine solche Stelle habe ich eigentlich gesucht, und jetzt habe ich sie ganz unverhofft gefunden. Ich muss nicht länger nach anderen Jobs oder Projekten Ausschau halten. Wenn ich wieder zu Hause bin, dann werde ich noch knapp zwei Monate Zeit haben, bis ich meine neue Stelle antreten kann. 




Tja, da stehe ich also hier irgendwo in British Columbia. Die Mittagssonne brennt mir auf den Schädel. Ich weiss gerade nicht, wie mir eben geschehen ist. Meine Reise dauert noch drei Wochen, aber meine Jobsuche ist eben glücklich zu Ende gegangen. Und damit nicht genug: Da habe ich doch gestern Abend im Berghotel von diesem freundlichen Kellner einen aufmunternden Spruch in einem Glückskeks bekommen, und heute ruft Roland aus der Schweiz an und bietet mir genau die richtige Stelle an. Was für ein Zufall! Nur gut, dass niemand sehen kann, wie ich etwas bedeppert in der Landschaft stehe und mit offenem Mund auf meinen Trockenfrüchten herumkaue. Es dauert wirklich eine Weile, bis ich begreife, was eben gerade geschehen ist. Schliesslich kämpft sich die Freude ihren Weg durch meine Belämmerung. Ich bin sehr dankbar und unglaublich erleichtert.

Gestern Mittag habe ich in einem Restaurant in Lake Louise gegessen, wo ein Song von Jeff Buckley gespielt wurde, der mir gestern den ganzen Nachmittag über nachgelaufen ist. Jetzt erinnere ich mich wieder daran, und auch heute Nachmittag dreht sich mir dieser Wurm immer wieder im Ohr.

Bis Prince George ist die Strecke wirklich so, wie ich vermutet habe. Sie führt durch eine lauschige Gegend, ähnlich wie das Emmental oder das Entlebuch. Da gibt es grüne Wiesen, weidendes Vieh, ab und zu etwas Ackerland und links und rechts die schneebedeckten Berge. Etwa vier Stunden lang tuckere ich so durch diese lauschige und etwas langweilige Gegend. Heute macht mir das nichts aus, denn es ist warm und die Sonne scheint. Ausserdem habe ich seit heute unverhofft eine Stelle, die mir mein Einkommen sichert.
Zweimal sehe ich im breiten Graben neben der Strasse einen jungen Schwarzbären, und immer, wenn ich wende, um zu fotografieren verschwinden die kleinen Bären rasch im Wald. Es gibt hier also tatsächlich Bären, und man bekommt sie auch tatsächlich zu sehen. Weil ich gelesen habe, dass man sich bei Jungbären nicht lange aufhalten soll, fahre ich jeweils gleich weiter. Das Risiko ist gross, dass man zwischen das Muttertier und das Junge gerät, und dann kann es richtig gefährlich werden. Ich glaube zwar nicht, dass mir plötzlich ein Muttertier von hinten auf die Schulter klopft und mit tiefer Stimme fragt: "Was machst du da? Lass mein Junges in Ruhe, du, sonst setzt es was!" Aber ich fahre trotzdem gleich weiter.

Gegen 17.30 Uhr bin ich in Prince George. Der Empfang im Motel ist freundlich, das Zimmer hell, gross und sauber. Während ich mein Gepäck ablade fährt eine Touristengruppe in einem grossen SUV vor. Etwa sechs Personen steigen aus und unterhalten sich in einem süddeutschen Dialekt. Die Gruppe kommt aus Bayern. Wir erzählen uns kurz, woher wir heute angereist sind und wie unsere Reisen weitergehen sollen. Zum Abendessen schliesse ich mich Ihnen an. Die Gruppe besteht aus Vater, Tochter und Schwiegersohn, Enkel und einem alten Freund der Familie, der die Idee zu der Reise hatte. Sie sind von München nach Vancouver geflogen und reisen jetzt mit ihrem riesigen Geländewagen durch British Columbia. Ihre letzte Station war Bella Coola, ein Ort an der Küste, der nur über eine unbefestigte, enge und steile Strasse über den Heckman Pass erreicht werden kann. Über  Bella Coola habe ich schon einiges gelesen und mir auch überlegt, da hinzu fahren. Die Gegend soll sehr schön sein, aber der Weg über den Heckman Pass etwas heikel. Darum habe ich Bella Coola vorderhand zurückgestellt. Vielleicht fahren Annemarie und ich bei Gelegenheit da hin. Der Gruppe aus Bayern hat es in Bella Coola jedenfalls gut gefallen. Aber obwohl wir schon Mitte Mai schreiben ist es offenbar immer noch etwas zu früh für einen Urlaub dort. Die Saison in Bella Coola hat gar noch nicht richtig begonnen, und meine neuen Bekannten mussten auf einige Aktivitäten dort verzichten, weil es noch zu kalt ist und sie gar noch nicht angeboten werden. Ausserdem hatte die Gruppe auf dem weg von Bella Coola nach Prince George eine Reifenpanne, und das ist mit so einem Fahrzeug auf dieser Strecke auch ein ziemliches Abenteuer.
Bella Coola, der Heckman Pass und die Reifenpanne liefern jedenfalls völlig ausreichenden und spannenden Gesprächsstoff für die Zeit des Abendessens. Da habe ich richtig nette und sehr liebenswürdige Leute kennengelernt, die mit beiden Füssen auf dem Boden stehen und das Herz auf dem rechten Fleck tragen. Morgen werden sie weiter nach Süden fahren. Sie wollen nach Jasper und nach Banff, also dahin, wo ich herkomme. Ich hingegen werde wie geplant nach Norden fahren. Das bietet auch noch etwas Gesprächsstoff, denn meine neuen Freunde sehen in der Fahrt alleine nach Norden, so wie ich sie vorhabe, doch einige Risiken. Ihnen steckt der Zwischenfall mit dem platten Reifen noch im Genick, und ich muss zugeben, dass ich da schon auch ein wenig Angst habe. Aber das bleibt ein Thema von vielen, und ich verbringe einen richtig unterhaltsamen und vergnügten Abend, wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt habe.

Vor dem Einschlafen schaue ich mir noch die Fotos an, die ich tagsüber gemacht habe und lese noch etwas über die Indianerhäuptlinge, die bei den Sunwapta Falls porträtiert waren. Ausserdem finde ich noch einen spannenden Youtube-Clip über die Bären und den sicheren Umgang mit ihnen.

Video zum sicheren Umgang mit Bären

Wenn ich bisher im Gespräch mit anderen erzählt habe, dass ich nach Yukon und Alaska fahre, dann haben mich die Leute immer  vor den Bären gewarnt. Das hatte ich bisher jeweils gar nicht so sehr beachtet. Aber jetzt, wo ich schon zwei kleine Bären in freier Wildbahn gesehen habe und kurz vor der Fahrt durch einsame Gegenden stehe bin ich doch etwas verunsichert. Was die Bären anbelangt, da hilft mir der Videoclip sehr. Ein Park Ranger erklärt nämlich, dass Bären die Begegnung mit Menschen eigentlich immer vermeiden. Wenn man trotzdem auf einen Bären trifft, dann nur deshalb, weil man ihn überrascht hat. Und dann zeigt der Park Ranger, wie man es vermeidet, Bären zu überraschen, und wie man sich bei einer Begegnung mit Bären am besten verhält.
Nachdem ich diesen Clip gesehen habe weiss ich, dass ich mir keinen Bärenspray und auch keine Druckluft-Hupe kaufen muss, um sicher nach Anchorage zu kommen.
Einen Benzinkanister will ich mir aber noch kaufen. Das steht schon länger an, und hier in Prince George will ich das erledigen, bevor ich weiter nach Norden fahre. Der Kauf eines Kanisters macht mir übrigens keine Sorge. Ich weiss aber noch nicht, wie ich den Kanister sicher auf dem Motorrad befestige. Das finde ich am besten heraus, wenn ich mich in einem Baumarkt inspirieren lasse. Hier in Prince George gibt es mehrere Baumärkte. Morgen werde ich deshalb eine Pause einlegen und einen zusätzlichen Tag hier in Prince George verbringen.

Reiseroute am Freitag, 13. Mai 2016

Kommentare

  • Jeanette Sonntag, 22. Mai 2016 Antworten

    hey, gratuliere zum mehr-Job!
    ich glaube, ich kaufe auch einen Glückskeks 🙂

    • Martin Bünger Montag, 23. Mai 2016 Antworten

      Danke! Wenn ich wieder zurück bin spiele ich für dich Glückskeks-Feerich, oder was ist die männliche Form von Fee?
      Habe gerade nachgeschaut. Korrekterweise werde ich für dich den Glückskeks-Troll spielen. So viel besser als Feerich ist das zwar auch nicht…

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