Prince George – Fort Saint John

Heute ist Sonntag, und wieder haben wir strahlendes Wetter. In Prince George ist es um neun Uhr früh immer noch ruhig. Ich lade mein Gepäck auf und fahre zur Tankstelle, um auch den neuen Kanister aufzufüllen und alles für den nächsten Tourenabschnitt zu prüfen. Auf die Fahrt durch die Einsamkeit bin ich sehr gespannt und habe auch ein bisschen ein mulmiges Gefühl. Das legt sich aber schnell. Nachdem ich aus der Stadt herausgefahren und etwa eine Stunde lang unterwegs bin sehe ich, dass es hier immer noch genügend Verkehr gibt. Die Besiedelung ist wirklich sehr spärlich. Die Gegend wird schon einsamer und zeigt recht beeindruckende, wildromantische Szenerien aus blauschwarzem, spiegelglattem Wasser, dem stahlblauen Himmel und Bäumen und Wäldern in jeder Form. Trotzdem gibt es hier keine Fahrt durch die Einsamkeit. Die Gegend hier ist erschlossen, sie wird durchfahren und genutzt. Keine Spur von Verlassenheit.
Es gibt hier einen allgegenwärtigen Ratschlag: Nutze jede Tankstelle, an der du vorbeifährst. Den Ratschlag habe ich mir wohl zu Herzen genommen, aber es gibt hier immer noch so viele Pumpen, dass ich nicht im Sinn habe, bei jeder anzuhalten. Ich bin dann gespannt, wie es in der Gegend nördlich von Watson Lake und von Whitehorse sein wird. Die Region hier jedenfalls scheint mir auch nicht viel mehr Einsamkeit auszustrahlen, als gewisse Gebiete in den Cevennen oder in Spanien es tun.
Gegen Mittag halte ich dann doch bei einer dieser abgelegenen Tankstellen an, weil ich die Hälfte des Sprits verbraucht habe. Bei der Begrüssung mit dem Tankwart gibt es das hier übliche hin und her: „How are you?“ – „Im fine, thanks, how are you?“ „Oh, pretty good, I just envy you“. Ich muss zugeben, das ich bei diesem Wetter und in dieser Umgebung auch lieber mit dem Motorrad unterwegs bin, als dass ich hier den Tankstellenwart geben würde. Beim Tanken schaue ich mich dann hier um. Hier ist es ganz einfach toll. Ein Haus in der Wildnis, jede Menge Nebengebäude, Unten auf der riesigen Wiese Kinderspielsachen, gleich um die Ecke der Fluss, die Seen, das riesige weite Land. Also ich finde diesen Lebensraum hier durchaus auch beneidenswert. Beim bezahlen sage ich das dem Tankwart auch. Der lächelt nur und winkt ab. Er kommt ursprünglich aus Holland, war ein paar mal mit Familie in den Ferien hier und ist dann geblieben. Er weiss sehr wohl, was er hier hat, auch wenn er nicht ganz immer das tun kann, was er gerade möchte.
Die Gegend hier ist touristisch sehr gut erschlossen. Hier wird die ganze Palette an Outdoor-Aktivitäten angeboten: Boot fahren, Kajaking, Jagen, Fischen, Reiten, Wandern, Tierbeobachtung, Klettern. Von Schwimmen steht hier nirgendwo etwas. Vielleicht werden die entsprechenden Plakate erst etwas später aufgehängt. Es ist ja wirklich noch etwas zu frisch zum Baden.
Der Ort Chetwynd bietet noch eine spezielle Attraktivität an, die Chetwynd Chainsaw Competition. Hier treffen sich Holzbildhauer, die mit Kettensägen Holzskulpturen herstellen. Die Ergebnisse beeindrucken auf jeden Fall durch die handwerkliche Meisterschaft, die sie zum Ausdruck bringen. Ob man sich so eine Skulptur dann in den Garten oder ins Wohnzimmer stellen möchte, ist eine andere Frage.






Von Prince George nach Norden führt der Highway 97 nach Dawson Creek. Dort ändert er seinen Namen in "Alaska Highway" und führt über 2'200 km bis nach Delta Junction in Alaska. Die Stadt Chetwynd liegt 100 km vor Dawson Creek am Highway 97. Dort biege ich ab und nehme den Highway 29 nach Norden. Auf der Karte hat es so ausgesehen, als ob diese Strasse für Motorradfahrer spannend sein würde. Sie ist sie aber nicht. Der Highway 29 führt durch das malerische Tal des Peace Rivers. Allein der Name klingt schon so ruhig. Und die Landschaft macht dabei voll mit. Hier ist alles so friedvoll, dass es weder spannende Kurven noch landschaftlichen Highlights gibt. Es ist nicht gerade ein Erbsen-Zählen, aber sehr weit davon entfernt ist es auch nicht.
Kurz vor dem Ende des Highway 29 werde ich von einer Gruppe von Harley-Fahrern überholt. Von Harley-Fahrern habe ich schon einiges gesehen und gehört, aber die Gruppe hier schlägt alle Rekorde. Sie fahren im Rudel, also wild nebeneinander und nutzen dabei die ganze Strassenbreite. Sie glauben nicht an die Geltungskraft von Tempolimiten und sie machen vor allem einen unglaublichen Krach. Sie sind mit höchstens zehn Motorrädern unterwegs, aber der Lärm ist ungeheuerlich. Etwa zehn Minuten später mache ich einen Fotohalt an einem Aussichtspunkt und treffe da wieder auf diese Gruppe. So ohne ihre Motorräder sind das ganz leise und friedliche Leute. Sie seien heute ohne grosses Ziel unterwegs und hätten lediglich ein bisschen Spass am herumfahren. Mir rutscht es heraus: „Yes, heard it“. In der Schweiz wäre das glaube ich keine gute Idee gewesen, sondern vielmehr eine beste Gelegenheit, um eine aufs Maul zu kriegen. Die Truppe hier bricht aber nur in schallendes Gelächter aus. Es stimmt ja auch, und sie fahren ja auch so herum, dass man sie mit Sicherheit hören kann.







Gegen Abend treffe ich dann etwas nördlich von Fort Saint John auf den Alaska Highway. Schon länger habe ich im Nordosten die Rauchwolken von Waldbränden gesehen. Etwa zehn Meilen fahre ich auf dem Alaska Highway in Richtung Süden bis nach Fort Saint John. Hier scheint es vor allem Bergbau, Holzwirtschaft und Gas- und Ölgewinnung zu geben.

Rauchwolken der Waldbrände in Alberta

Es ist überall ziemlich dreckig hier, im Ort wie auch im Motel. Die ganze Gegend hier wirkt etwas abgewirtschaftet. Mein Motel wird auf Booking.com nicht gut bewertet, und dementsprechend sieht es auch aus. Hier ist wieder so ein überfreundlicher und scheinbar dienstbeflissener Motelier, der in Wirklichkeit aber keinen Finger rührt und seinen Laden überhaupt nicht im Griff hat. Als ich mein Zimmer beziehen will steht die Türe offen und eine Dame läuft barfuss darin herum. „Is this your room?“ frage ich. „No, I am just cleaning here“. Es tue auch ihr furchtbar leid, dass das Zimmer um 18.30 Uhr noch nicht fertig ist, aber spätestens in einer halben Stunde sei sie so weit. Ich werde in diesem Dreckloch bestimmt nicht eine halbe Stunde auf mein Zimmer warten. Zurück an der Rezeption entschuldigt sich der Motelier zwar wortreich, aber offensichtlich nicht einmal halbherzig und gibt mir ein anderes Zimmer. Im neuen Zimmer ist tatsächlich niemand, der noch saubermachen will. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob auch überhaupt schon jemand da war, um hier sauber zu machen. Aber mittlerweile bin ich es gewohnt, in solchen Situationen zum Alkohol zu greifen - zum Putzalkohol, wohlverstanden.
Abendessen gibts auf dem Balkönchen vor meinem Zimmer. Beim Kauen überprüfe ich die Strecke von heute und meine weitere Routenplanung. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich meine Strategie ändere. Ich glaube nicht, dass der Alaska Highway für Motorradfahrer grosse Highlights bereit hält, die ich in angemessenen Etappen einteilen müsste. De facto ist der Alaska Highway eine Verbindungsstrasse, der eben da durchführt, wo er eben durchführt. Als der Alaska Highway und auch der Stewart-Cassiar Highway gebaut wurden wollte man mit einem akzeptablen Aufwand möglichst schnell die Nord-Süd-Verbindung herstellen. Wenn sich auf der geplanten Trasse ein Berg oder ein Fels befand, wurden die nicht mit Kurven umfahren, sondern einfach weggesprengt. Schliesslich wollte man in erster Linie dafür sorgen, dass Alaska mit riesigen Trucks möglichst sicher und ohne Umstände versorgt werden konnte. Damit ich aber nicht tagelang über einsame, gerade Strecken tuckere, plane ich längere Tagesetappen, als ich mir ursprünglich vorgenommen hatte. Das heisst aber auch, dass ich am Morgen etwas früher losfahren muss, um die Fahrzeit so gut wie möglich nutzen zu können und sie gleichzeitig so kompakt wie möglich zu halten. Sollte unterwegs etwas Schönes auftauchen, dann kann ich mir dafür immer noch Zeit nehmen. Aber sonst will ich die langen, geraden Strecken möglichst effizient hinter mich bringen und am Abend jeweils rechtzeitig im Stall sein. Morgen probiere ich das gleich aus. Nach Google dauert die Fahrt von Frt Saint John bis Muncho Lake etwa sieben Stunden. Für mich bedeutet das eine Reisezeit von etwa neun Stunden. Wenn ich morgen früh gegen halb acht losfahre werde ich am Abend gegen fünf Uhr in Muncho Lake ankommen. Das könnte passen.

Reiseroute am Sonntag, 15. Mai 2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert