Dease Lake – New Hazelton

Heute bin ich nicht so früh reisefertig, wie ich mir vorgenommen hatte. Das Motel hier bietet ein Frühstück an, und das braucht halt etwas zusätzlich Zeit. Beim Frühstück treffe ich eine Dame, die einiges älter ist als ich. Sie kommt aus den USA, reist alleine, ist auf dem Weg Richtung Süden und will heute mit dem Auto bis nach Prince George fahren. Respekt, das sind immerhin zwölf Stunden Fahrzeit. Als sie das hört schaut mich die Dame ganz gross an. Sie hat eine völlig andere Vorstellung von der Fahrzeit von Dease Lake nach Prince George. Ich bin die Strecke ja auch noch nie gefahren, aber Google Maps rechnet für die Strecke von fast 1'000 km mit einer Fahrzeit von 9'50''. Die Dame meint, dass Google vielleicht mit denjenigen Höchstgeschwindigkeiten rechnet, die jeweils vorgegeben sind, aber daran halte sich hier ja sowieso niemand. Doch, ich schon, wende ich ein. Nachdem mir ein Officer einmal eine Busse von 200 USD erlassen und dafür nur 25 USD verlangt hat, gebe ich mir Mühe, mich an die Tempolimiten zu halten. Als die Dame hört, dass sich das in Wyoming abgespielt hat, runzelt sie die Stirn und meint ganz skeptisch, dass sich das für sie schon ein wenig nach Korruption anhöre. Jetzt mache aber ich grosse Augen. So habe ich die Sache noch nie gesehen, aber es würde auch Einiges erklären.
Als ich schliesslich losfahren will sehe ich auf der anderen Strassenseite den jungen Romand von gestern Abend stehen und halte kurz bei ihm an. Er sucht immer noch eine Mitfahrgelegenheit und beklagt sich, dass die meisten Reisenden nach Norden fahren und nicht nach Süden. Ausserdem sei er ja gar kein richtiger Autostopper. Er möchte eigentlich mit dem öffentlichen Verkehr reisen, aber hier verkehren ja weder Bus noch Bahn. Bis nach Feuerland möchte er reisen und nimmt sich dafür ein ganzes Jahr Zeit. Da hat er sich richtig viel vorgenommen.

Heute ist es grau und kalt. Es macht wenig Freude, mit dem Motorrad unterwegs zu sein, im Gegenteil: Bei mir kommt ein Gefühl von Pflichtübung auf. Ich habe die Rundreise von Prince George über den Alaska Highway nach Watson Lake nach Norden und über den Stewart-Cassiar Highway nach Süden wieder bis Prince George angefangen und befinde mich jetzt schon auf der Südroute. Jetzt muss ich die Rundreise wohl oder übel auch zu Ende fahren, aber so richtig lustvoll ist es nicht.
Bei der Station mit dem Namen "Bell 2“ halte ich an. "Bell 2", das klingt eher nach einem Klingelton als nach einer Station auf dem Stewart-Cassiar Highway. Aber ich muss hier tanken, Klingelton hin oder her. An der Kasse steht eine junge Frau, die bestimmt kaum 20 Jahre alt ist. Sie redet ganz schnell, und ich verstehe nicht die Hälfte von dem, was sie sagt. Als ich nachfrage reicht sie mir ganz huldvoll die Hand und stellt sich vor: „Hi, I am Cathrin“. Nanu, habe ich wieder etwas nicht verstanden? An einer Tankstelle in Kanada stellt man sich doch sonst nicht gegenseitig vor, und schon gar nicht mit Handschlag.

Olga ist vollgetankt, jetzt komme ich dran. Ich brauche dringend einen heissen Tee, denn ich bin ziemlich durchgefroren, und bevor ich nicht wieder eine normale Körpertemperatur erreicht habe brauche ich mich gar nicht wärmer anzuziehen. Während ich meinen Tee trinke redet Cathrin auf mich ein und erzählt mir alles Mögliche. Leider verstehe ich nicht einmal die Hälfte davon, und ich bin mir auch gar nicht sicher, dass das nur an meinen Englischkenntnissen liegt. Es kommt mir so vor, wie wenn Cathrin eine kleine Unwucht aufweisen würde. Ihre Familie heisse Lebelle, erzählt sie, komme aus Frankreich und sei über Ostkanada nach British Columbia gekommen. Sie habe königliches Blut in ihren Adern. Ihr Grossvater habe sie immer "Princessa Catarina" genannt. Sie ist stolz auf ihre Fremdsprachenkenntnisse. Sie könne nämlich etwas Französisch und Latein. Französisch kann sie definitiv nicht, das stellen wir gleich fest. Und mit Latein, so stellt sie sich vor, könne sie sich eventuell in Spanien durchschlagen. Ich halte vorsichtig entgegen, dass sie mit Latein in Spanien möglicherweise nicht so weit kommen könnte. Da stimmt sie mir sofort zu und meint, nein, mit Latein könne man in Spanien überhaupt nichts anfangen. So langsam macht sich in mir ein inneres Stirnrunzeln breit. Sie möchte gerne in Oslo studieren, erzählt sie weiter, hat aber noch keine Ahnung, welche Studienrichtung sie wählen möchte. Das wird mir jetzt etwas zuviel. Ich bekomme langsam einen glasigen Blick und kümmere mich einfach einmal um meinen Tee. Cathrin merkt das und kümmert sich sofort um etwas Anderes. Damit habe ich gar nicht gerechnet, aber der glasige Blick hat funktioniert. Das muss ich mir merken und bei einer ähnlichen Gelegenheit wieder einmal ausprobieren.

Ein anderer Gast fährt zum Tanken vor, eine ganz sympathische, freundliche Frau in meinem Alter. Sie hat den Winter in Arizona verbracht und ist jetzt auf der Rückreise von Tucson nach Fairbanks. Bei ihrer Abfahrt in Tucson war es da über 30 Grad warm. Sie ist also ein Sunbirdie, frage ich. Ja, das ist sie, obwohl sie das eigentlich nie werden wollte. Aber die dunklen und kalten Winter in Fairbanks setzen ihr mittlerweile so zu, dass sie jetzt die dunkle Jahreszeit im Süden verbringt. Sie sagt: "You know, even if it ist warm there it is dark". Da kann ich gut verstehen, dass man in den hellen und warmen Süden flüchtet. Sie sieht mich immer noch frieren und bietet mir Handwärmer an. Das ist wirklich sehr nett von ihr, aber warme Hände sind gerade nicht mein Problem. Dafür verfügt Olga über Griffheizungen. Aber die freundliche Dame geht hinaus und kommt gleich wieder herein und bietet mir Wärmekompressen an, die man um den Oberkörper wickelt. Sie habe jahrelang mit Hunden Langlauf bei tiefen Minustemperaturen betrieben und wisse, wie das ist, wenn man durchfroren ist, und sie weiss auch, wie man sich wieder aufwärmt. Das finde ich jetzt aber sehr mitfühlend und liebenswürdig. Die Kompressen nehme ich gerne an. Erst als die Frau schon wieder weg ist fällt mir auf, dass sie wie Donna ausgesehen hat. War das etwa Donna? Hat der liebe Gott mir wieder seinen Schutzengel vorbeigeschickt? Das wäre ja eine schöne Überraschung, wenn ich Donna hier wiedergesehen hätte. Aber es war bestimmt nur eine Ähnlichkeit.

Der Motelier in Dease Lake hat mir gestern Abend wärmstens empfohlen, in Bell 2 etwas zu essen, weil es dort die beste Küche in ganz British Columbia gäbe. Nun, der Motelier ist mir nicht gerade durch herausragende Kompetenz aufgefallen, aber es ist Mittag und ich habe Hunger, und da probiere ich es aus. Ich bekomme wirklich einen ganz ausgezeichneten Bisonburger mit Süsskartoffel-Fries. Statt von Cathrin werde ich jetzt von einer blonden jungen Frau bedient, die ein wenig älter als Cathrin ist, und die auch nicht so komisches Zeug daherredet. Sie kommt aus Norddeutschland, macht hier ein Praktikumsjahr und will dann in Bremen Tourismus studieren. Ich bin etwas ungläubig: Was hat Tourismus mit Niedersachsen zu tun. Die junge Frau weist mich kurz und freundlich zurecht und fragt, ob ich noch nie von der Nordsee und den Nordsee-Inseln gehört hätte, einem der berühmtesten und wichtigsten Sommerferiengebiete Deutschlands. Hoppla, da war ich gerade ziemlich vorlaut und muss blitzschnell zurückkrebsen. So gut sind meine Geografiekenntnisse über Deutschland dann doch wieder nicht.

Ich habe getankt, gegessen, mich aufgewärmt und fahre weiter. Es beginnt zu regnen, aber heute ziehe ich kein Kombi an. Das Wetter hat mich gestern schon veräppelt. Mehrmals fahre ich heute über nasse Eisengitterbrücken. Ich hasse das, es ist so gefährlich und macht mir auch Angst. Der Regen entpuppt sich als Strohfeuer – ein abstruses Sprachbild, das ich gerne so stehen lasse. Je weiter ich nach Süden komme, desto wärmer wird es. Na also, geht doch.

Gegen 16 Uhr komme ich in New Hazelton an. Das Motel macht schon von aussen einen sauberen und irgendwie freundlichen Eindruck. Auf der Veranda vor den Zimmern sitzt ein Mann, etwa 10 Jahre älter als ich, und trinkt ein Bier. Er grüsst ganz freundlich: „How was your day?“ und schwärmt, was für einen schönen Nachmittag wir doch heute haben. Ich bleibe da etwas verhalten, schliesslich war das heute nicht immer so. „May I offer you a beer?“ fragt er. Aber gerne. Während wir am Plaudern sind setzt sich die Frau des Hauses zu uns und beginnt, einen Bistrotisch zusammenzuschrauben. Er sei zuständig für die Umgebungsarbeiten, für den Gebäudeunterhalt und für die Wäscherei, seine Frau für das Büro, die Pflanzen und die Inneneinrichtung. Eigentlich sei seine Frau der Boss hier, er sei nur der Mitarbeiter. Vor 14 Tagen hätten sie mit der Bepflanzung angefangen, weil es wahrscheinlich keinen Frost mehr geben werde. Gibt es denn hier keine Eisheiligen, will ich wissen. Das weiss er auch nicht, er glaubt aber nicht, und sonst muss er halt eben noch einmal nachpflanzen. Es ist ein ganz wunderbar ruhiger, freundlicher Typ. Er hat etwas von Diogenes, der sich von Alexander dem Grossen nichts Anderes gewünscht hatte, als dass der ihm aus der Sonne gehen würde. Nachdem wir so fast eine Stunde lang bei einem Bier verbracht haben wird es für mich Zeit, einzuchecken. Weil das Büroarbeit ist macht das die Dame des Hauses. Sie ist etwa so alt wie ich, erklärt mir, wo ich noch hingehen soll, wenn ich mir kulturell hier in New Hazelton etwas anschauen wolle, und wo ich ein anständiges Abendessen bekomme. Bill und Linda heissen diese freundlichen Leute.
In diesem Motel hier ist alles sehr sauber, gut und zweckmässig eingerichtet und wirklich nett. Wenn ich von Prince George zurückkomme, werde ich hier wieder Station machen. Meine Buchung melde ich gleich bei Linda an. Die freut sich, dass ich wiederkommen will und auch, dass ich direkt bei ihr buche. Booking.com verlangt von seinen Hotelpartnern einerseits Bestpreise, andererseits nehmen sie 15% pro Buchung. Das ist ziemlich viel. Linda will mir darum einen Rabatt geben. Das will ich eigentlich gar nicht, aber sie setzt sich durch und ich bezahle 5 Dollar weniger.
Zum Abendessen gehe ich in das Restaurant, das mir Linda empfohlen hat. Es heisst Rob's Grill. Rob heisst Robert Wagner und kommt aus Österreich. Man hört es ihm noch ein bisschen an. Seine Frau und seine Tochter machen den Service, er macht Pizzas und managt die Küche. Ich habe da wirklich ausgezeichnet gegessen, bin aber froh, dass ich noch etwas zu Fuss zum Hotel zurückgehen kann. Ich habe mich glaube ich mit dem Essen gerade ein bisschen übertan.

Reiseroute am Mittwoch, 18. Mai 2016

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