Prince George – New Hazelton

Das Wetter sieht heute zwar nicht schlecht aus, aber als ich die Zimmertür aufmache merke ich, dass immer noch dieser bissige Wind geht.
Wie schon gestern läuft es heute frühmorgens mit dem Schreiben, so dass ich erst um 11.15 von der Tankstelle wegfahre. Die Ankunft gestern hier in Prince George war ja ein Wiedersehen, weil ich vor einer Woche schon zwei Tage hier war. Auch heute Morgen beim Tanken bin ich mit der Umgebung vertraut. Das kommt sonst auf dieser Reise kaum vor, weil ich fast jeden Tag weiterziehe. Und dass ich irgendwo abreise und später noch einmal komme, das ist nur auf diesem Abschnitt zwischen Watson Lake und Prince George so.
Schon bald nach der Abfahrt beginne ich jämmerlich zu frieren. Heute muss ich alle Register ziehen und zum ersten Mal auch die Thermowäsche hervorkramen. So ausgerüstet ist die Kälte einigermassen auszuhalten. Auf der Fahrt zurück nach New Hazelton fällt mir plötzlich auf, dass ich in den letzten drei Tagen einen planerischen Blödsinn gemacht habe. Eigentlich wollte ich ja den Stewart-Cassiar Highway zuerst nach Süden und dann wieder nach Norden fahren, weil mir dieser Highway als sehenswert empfohlen worden war. Jetzt stelle ich aber fest, dass der Stewart-Cassiar Highway ja schon in Kitwanga endet, also etwa 30 km nördlich von New Hazelton. Die letzten beiden Tage bin ich auf dem kanadischen Highway 16 gefahren, dem Yellowhead Highway, einer ganz normalen Autobahn. Wenn mir das rechtzeitig aufgefallen wäre, dann hätte ich schon gestern wieder nach Norden fahren und auf diese lustlose Fahrt auf dieser unnötigen Schlaufe über Prince George verzichten können. Beim Kartenstudium stelle ich nach einer Weile auch fest, warum mir dieser Fehler passiert ist. Auf der Karte sieht man, wie sich die beiden Alaska-Routen in Prince George teilen und in Watson Lake wieder zusammenkommen. Im Osten geht es über den Alaska Highway nach Norden, im Westen über den Stewart-Cassiar Highway. Aber keiner dieser beiden Highways startet tatsächlich in Prince George. Der Alaska Highway beginnt erst in Dawson Creek, 400 km östlich von Prince George, und der Stewart-Cassiar Highway beginnt erst in Kitwanga, 500 km westlich von Prince George. Weil aber die Strecke bis vor etwa zwei Tagen ganz passabel war ist mir das nicht weiter aufgefallen. Zu dumm, dass ich das erst jetzt merke. Tja, Künstlerpech.

Auf der Rückfahrt von Prince George nach New Hazelton ist es zu Beginn zwar deutlich kälter als auf der Hinfahrt gestern, aber dafür ist die Strecke in der umgekehrten Richtung viel spannender und angenehmer zu fahren. Schliesslich wird im Verlauf des Tages auch das Wetter immer besser. Fehlplanung hin oder her, ich freue mich jedenfalls darauf, heute Abend wieder in dem Motel in New Hazelton zu sein. Die Besitzer Bill und Linda sind so freundliche und sympathische Leute, dass ich mich da  willkommen und zu Hause fühle.

Zwei Mal sehe ich heute einen Bären. Ich lasse die Tiere aber ziehen, ohne sie mit meiner Fotografiererei zu belästigen. Auf der ganzen Strecke heute gibt es aber sehr viele Schilder, die vor allen möglichen wilden Tieren warnen. Leider bekomme ich diese Tiere aber gar nie zu sehen, und das geht mir langsam auf den Senkel. Wo sind sie denn, alle diese Tiere, die hier offenbar pausenlos und in grossen Mengen über die Strasse ziehen sollten? Gibt es die hier überhaupt? Also was mich angeht, ich habe da immer mehr Zweifel. Wahrscheinlich hat vor hundert Jahren oder noch früher irgendein Trapper hier einmal Tiere gesehen, und der hat dann für die anderen Trapper entsprechende Hinweisschilder aufgestellt. Vermutlich haben die anderen Trapper das dann weidlich ausgenützt und die Tiere hier so stark bejagt, dass diese schon nach kurzer Zeit hier alle  ausgerottet waren. Als dann später die Strassen ausgebaut worden sind wird es hier schon lange keine Trapper mehr gegeben haben, sondern nur noch deren Schilder. Die damals neue kanadische Strassenverkehrsordnung wird wahrscheinlich keine Hinweisschilder für Tiere gekannt haben. Weil die Behörden aber nicht gewusst haben, dass es diese Tiere hier gar nicht mehr gibt, haben sie statt der Hinweisschilder einfach Warnschilder aufgestellt, wie wenn es die Tiere hier noch geben würde. Mittlerweile weiss wahrscheinlich hier gar  niemand mehr, dass es hier keine Tiere mehr gibt, und darum stehen hier überall diese Warnschilder völlig nutzlos herum. Ganz genau so muss es gewesen sein. Vielleicht werde ich den kanadischen Behörden noch einen Gefallen tun und ihnen bei Gelegenheit noch erklären, wie das hier bei ihnen wirklich ist. Die werden mir bestimmt dankbar sein.
In den USA gibt es doch dieses seltsame Rechtssystem, wo man alles einklagen kann, vor dem vorher nicht ausdrücklich gewarnt worden ist. Vielleicht könnte ich ja in den USA eine Klage gegen diese Tierwarnschilder hier einreichen und verlangen, dass ich entschädigt werde, weil eine angekündigte Gefahr mehrfach und nachweislich nicht eingetreten ist, obwohl ich mich auch extra fahrlässig verhalten habe. Ich bekäme wahrscheinlich dafür keine Millionenabfindung, aber ich würde in die nordamerikanische Rechts-Geschichte eingehen. Meine Klage würde nämlich bewirken, dass auf allen Warnschildern in den Staaten und in Kanada ein kleingedruckter Text angebracht werden müsste: „Achtung! Wenn die auf diesem Warnschild angezeigte Gefahr in Ihrem Fall nicht eintrifft, so dass für Sie kein Schaden entsteht, so lehnt die Regierung jede Verantwortung dafür ab, dass Ihnen nichts geschehen ist“. Aber wenn mich die Leute hier ganz nett bitten, dann lasse ich mich vielleicht auch umstimmen, und ich reiche diese Klage doch nicht ein.

Linda, die Besitzerin des Motels in New Hazelton hatte mir vorgestern empfohlen, noch in den alten Ort Hazelton zu fahren. Im Indianerdorf Hazelton seien die schönsten noch erhaltenen Totempfähle zu sehen. Heute treffe ich schon gegen 17 Uhr in New Hazelton im Motel ein. Weil ich noch etwas Zeit habe fahre ich nach Old Hazelton, um mir die indianischen Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Auf dem Weg dahin führt eine Brücke über eine breite und tiefe Schlucht. Der Brückenboden besteht wieder aus diesem elenden Metallgitter. Jetzt ist es nicht nur Olga, die schwankt, weil ihr Profil auf dem Eisengitter immer ein wenig rutscht, jetzt muss ich auch noch mit meiner grässlichen Höhenangst kämpfen. Auf der anderen Seite endlich angekommen weiss ich, dass ich dann über diese Brücke wieder zurückfahre muss. Zwei Totempfähle finde ich in dem indianischen Teil des Dorfes. Etwas verärgert muss ich zugeben, dass ich nichts verpasst hätte, wenn ich sie mir nicht angeschaut hätte. Man sollte eben Kulturbummel und Motorradfahren nicht vermischen. Das haben mein Freund Hebi und ich schon vor zehn Jahren gemerkt, als wir einmal auf einer Tour kurz in Tauberbischofsheim angehalten hatten. Nach einem zehnminütigen Kurzspaziergang durch das herzige deutsche Städtchen waren wir uns einig, dass zwar alles schön, für uns aber letztlich uninteressant sei, weil wir ja wegen der Strassen, Kurven und Landschaften hergekommen waren, und nicht, um alte Häuser anzuschauen. Seither sind wir auf unseren Motorradtouren erfolgreich allen kulturellen Aspekten ausgewichen, und das hat sich bestens bewährt. An dieses Rezept hätte ich mich heute besser auch gehalten, statt so leichtsinnig nach Old Hazelton zu fahren.

Zum Abendessen gehe ich heute wieder zu Robs Grill. Das war schon vorgestern gut und es ist es auch heute. In Robs Grill treffe ich einen Motorradfahrer, der Anfang Mai von Kalifornien aus nach Alaska aufgebrochen und jetzt wieder auf der Rückreise ist. Er sagt, er sei Amerikaner und habe in Deutschland studiert. Er spricht aber eher wie ein Deutscher, der nach Studium nach Kalifornien gegangen ist. Wer nach 40 Jahren immer noch einen so reichen Wortschatz und eine so ausgezeichnete Aussprache hat, und wer am Telefon so englisch redet wie der Kollege, der kommt eher aus Deutschland als aus Kalifornien. Aber das geht mich ja weiter nichts an. Er sei den Dempster Highway hochgefahren, über den Polarkreis hinaus und habe dort in eisiger Kälte gezeltet, beklagt er sich. Ich will ja hier nicht den Klugscheisser geben, aber so aus dem Bauch heraus würde ich schon vermuten, dass man damit hätte rechnen können. Alle Touristenführer weisen darauf hin, dass Alaska mit Vorteil erst ab dem Mai bereist werden sollte. Wenn also jemand anfangs Mai direkt hoch in den hohen Norden zum Polarkreis will, und als Motorradfahrer auch noch alleine über die ausführlich beschriebene Schmutzpiste des Dempster Highways fährt und dort oben auch noch zeltet, dann frage ich mich schon, was man da oben erwartet. Barbecue im Freien und Gratis-Sauna?

Nach dem Abendessen treffe ich im Motel noch Bill, den Motelier. Er erzählt  von früher. Ich mag seinen trockenen und augenzwinkernden Erzählstil und höre ihm gerne und lange zu. Bill hat sowohl im Norden in den Minen in Chino als auch im Osten auf den Ölfeldern bei Calgary gearbeitet. In den Sechzigerjahren ist er mit einem kleinen Toyota alleine den damals noch weitgehend unbefestigten Alaska Highway nach Chino hochgefahren. Die Strasse sei damals viel schwieriger zu befahren gewesen, aber es habe unterwegs mehr Stationen gegeben als heute. Vor vier Jahren hat er sich pensionieren lassen. Nach zwei Jahren hätten Linda und er fast durchgedreht vor Langeweile. Sie hätten daraufhin ihr Hab und Gut zusammengepackt und seien nach Ostkanada gefahren, um sich dort ein Motel zu kaufen, seien dann aber wieder zurückgekommen, weil sie nichts gefunden hätten. Vor zwei Jahren haben sie dann das Motel hier in New Hazelton gefunden, gekauft und sind jetzt sehr zufrieden mit ihrer Situation. Sie haben wieder eine Aufgabe, die sie weitgehend selber gestalten können, und sie lernen immer wieder neue Leute kennen. Für Leute wie mich ist es eine grossartige Sache, dass die beiden hier ihr Motel betreiben.








Reiseroute am Freitag, 20. Mai 2016

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