Whitehorse – Reisevorbereitung

Am Morgen früh um 04.00 Uhr geht mein Wecker los. Das ist nicht lustig, aber schliesslich habe ich heute die lange Fahrt über den Alaska Highway bis nach Fort Nelson vor mir. Also stehe ich zügig auf.

Mein frühes Frühstück besteht aus etwas Vernünftigem, Getreideflocken mit Fruchtsaft. Etwas lustlos kaue ich auf meinen Flocken herum und stelle mir dabei vor, wie sich mein Hintern heute Abend anfühlen wird, und wie lange es bis dahin dauern wird. Das ist auch nicht lustig.
Wie ich noch etwas verschlafen dasitze und so vor mich hin kaue komme ich auf eine neue Idee: Vielleicht könnte ich Olga hier in Whitehorse irgendwo einstellen und von hier direkt nach Vancouver fliegen, statt die 3000 km dorthin mit dem Motorrad zu fahren? Schliesslich ist hier in Whitehorse der internationale Flughafen der Yukon Territories. Irgendwann werde ich ja wieder in die USA einreisen dürfen. Und dann müsste ich nur von Zürich über Vancouver wieder hierher nach Whitehorse fliegen, könnte Olga hier wieder abholen, mit ihr nach Anchorage fahren und sie dort verkaufen. Ob das wohl funktionieren könnte?
Das Frühstück und die frühe Abfahrt stelle ich für eine halbe Stunde zurück, damit ich das abklären kann.
Zuerst schaue ich nach den möglichen Flugverbindungen. Heute ist Mittwoch. Der nächste passende Flug mit Edelweiss Air von Vancouver nach Zürich geht morgen Donnerstag am Abend. Morgen Vormittag gibt es zwei Verbindungen von Whitehorse nach Vancouver, und auf beiden gibt es noch genügend freie Plätze. Die Flugverbindung von hier nach Hause passt also. Auf dem Flughafen von Whitehorse kann man übrigens sein Fahrzeug bis zu drei Monate lang stehen lassen. Damit wäre auch mit Sicherheit Olga versorgt, bis ich wieder hierher komme.
Als Nächstes frage ich bei Lilo nach, ob es auf dem Flug Vancouver - Zürich noch freie Plätze gibt. Bei mir ist es zurzeit 04.30 Uhr, in der Schweiz also 20.30 Uhr. Da sollte Lilo noch erreichbar sein. Es dauert keine fünf Minuten bis Lilo mir antwortet: Sie hat mir bereits einen Platz gebucht.
Wie war das noch gleich? Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten.
Niemand wird heute die 1000 km nach Fort Nelson brettern. Niemand wird heute zwölf Stunden auf dem Motorrad sitzen. Mein Plan von gestern Abend ist Makulatur. Mein Hintern wird heute nicht schmerzen, weder am Nachmittag noch am Abend. Auch mein karges frühes Frühstück braucht es nicht mehr. Der Tag heute wird viel einfacher werden als ich gemeint habe. Und jetzt lege ich mich noch einmal für ein paar Stunden aufs Ohr.

by http://www.yukoninfo.com

Gegen neun Uhr wache ich wieder auf und nehme einen zweiten Anlauf in diesen Tag. Das strahlend blaue Wetter von gestern hat einem trüben Grau Platz gemacht. Das kümmert mich heute aber überhaupt nicht. Seelenruhig und grundzufrieden mache ich mich ausgehfein und begebe mich dann zum zweiten Frühstück ins Hotel nebenan. Die kanadische Touristenküche hier kommt zwar ohen jeden Anspruch auf Publikumsbegeisterung aus, aber da es mein letzes richtiges kanadisches Frühstück ist geniesse ich es.

Im Verlauf des Morgens bereite ich dann die Heimreise vor, und alles klappt wie am Schnürchen:
Mein Zimmer hier im Town & Mountain Hotel kann ich problemlos noch für eine weitere Nacht buchen. Der Motorradhänder Yukon Yamaha hat zwar vor zehn Tagen nicht die richtige Glühbirne für Olgas Scheinwerfer gehabt, aber einen Einstellplatz für Olga hat er alleweil, und ich bin froh, dass ich Olga bei ihm lassen kann und sie nicht auf dem offenen Flughafen-Parkplatz in Whitehorse abstellen muss. Nachdem ich am Flughafen von Whitehorse einen Platz in der ersten Maschine nach Vancouver morgen früh gebucht habe fahre ich mit Olga zur Waschanlage, befreie sie vom Schmutz der letzten Tage und bereite sie für den Einstellplatz vor. Ich stelle mir vor, wie es sein wird, wenn ich in ein paar Wochen wieder hierher komme. Dann werde ich - so hoffe ich - unter strahlend blauem Himmel einmal um sie herumlaufen, den Startknopf drücken - der klemmt manchmal ein bisschen, einen Moment lang auf das etwas ruppig und scherbelig klingende Motorengeräusch achten und dann zum letzten, ungeplanten, zusätzlichen Teil meiner Reise starten. Mit diesem Bild vor Augen stelle ich Olga bei Yukon Yamaha ab, winke ihr zum Abschied und mache mich dann alleine auf den Rückweg zum Hotel. Ich bin bereit für die Heimreise.

by http://townmountain.com/

Am frühen Abend sitze ich bei einem Bier in der Hotellobby und lerne einen bärtigen Riesen kennen, der glatt als kanadische Version von Rübezahl durchgehen könnte. Er ist im kanadisch-amerikanischen Grenzgebiet aufgewachsen. Meine Erfahrungen mit den US-Grenzbehörden am letzten Samstag überraschen ihn überhaupt nicht. Er hat Ähnliches und Schlimmeres auch schon erlebt und schimpft in allen Tönen über die amerikanischen, aber auch über die kanadischen Grenzbehörden. Seiner Meinung nach sind am Grenzübergang Alcan sowieso nur die unbrauchbaren US Customs Officers stationiert. Dort sei doch nie etwas los, und die Arbeit dort kriege auch der Dümmste auf die Reihe, meint er. Die guten Grenzbeamten hingegen würden auf den grossen Flughäfen und am Grenzübergang bei Vancouver gebraucht, weil dort immer wieder sehr grosse Passagieraufkommen in kürzester Zeit abgewickelt werden müssten. Es ist zwar schön, einen gleichgesinnten Leidensgenossen gefunden zu haben und zu hören, dass ich nicht der einzige bin, der unangenehme Erfahrungen mit den Grenzbehörden gemacht hat. Aber mehr als ein billiger Trost ist das nicht, und die kurze Zeit des gemeinsamen Schimpfens führt letztlich auch nicht weiter. Mittlerweile sind ein paar Tage vergangen, seit die US Customs Officers meine Reisepläne durchkreuzt haben. Ich hätte gerne meine Reise ohne Zwischenfälle und so wie geplant zu einem ganzvollen Ende gebracht, hätte gerne noch ein paar Tage in Anchorage verbracht und Olga dort verkauft und wäre dann gerne wie geplant definitiv nach Hause geflogen. Leider ist es anders herausgekommen. Ich werde nach einigen Wochen zu Hause noch einmal etwas Bürokram erledigen müssen, damit ich dann noch einmal hierher kommen und die Sache hier zu Ende bringen kann. Aber es ist bestimmt nicht verkehrt, noch einmal durch die Yukon Territories und durch Alaska zu fahren.
Je länger der Abend heute dauert desto aufgeregter werde ich. Nach genau drei Monaten hier in Nordamerika fliege ich morgen wieder heim. Ich freue mich sehr.

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