Glennallen-Anchorage

The Caribou Hotel, so heisst meine Unterkunft hier in Glennallen. "Hotel" ist eigentlich schon zu viel gesagt. Man kann hier einfach übernachten. An Verpflegung bietet das Hotel lediglich einen Automaten mit Süssigkeiten an. Deshalb gönne ich mir  - wie die meisten Gäste - im Restaurant nebenan ein richtig nordamerikanisches Frühstück. An der Tankstelle bin ich der erste Kunde heute Morgen. So früh bin ich heute unterwegs. Die Sonne scheint schon jetzt warm auf die still daliegende Strasse. Mein allerletzter Motorrad-Reisetag fängt also richtig gut an. Die Strecke zwischen Glennallen und Anchorage bin ich schon zweimal gefahren. Aber so entspannt und schön wie heute war es noch nie. Ganz einsam fahre ich durch das Tal des Matanuska Rivers am Matanuska-Gletscher vorbei. Die Strecke ist kurvenreich und anspruchsvoll. Heute gibt es keine Störungen und keinen Widerstand. Alles passt, alles fliesst. Die Wärme, der Fahrtwind, die Gerüche und die Bewegungen des Motorrads lassen eine tiefe Zufriedenheit aufkommen. Das ist wirklich ein würdiges Finale meiner Nordamerikareise.

Heuter kommt nichts dazwischen. Heute läuft alles nach Plan. Gegen Mittag komme ich zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten in Anchorage an. Ich weiss noch genau, wo die Waschanlage liegt. Dort befreie ich Olga von allem Yukon- und Alaska-Schmutz. Schon bald steht sie wieder als sauberes, hochhackiges Motorrad da. Schliesslich soll sie bei ihrem zukünftigen Besitzer einen guten Eindruck machen.
Nachdem ich mein Gepäck ins Hotel gebracht habe fahren wir zum Motorcycle Shop. Dort ich erwartet uns Andrew schon.

Andrew ist ein sehr freundlicher, zupackender junger Mann. Er schaut sich Olga ganz genau an. Mit dem Ergebnis ist er offenbar sehr zufrieden. Sie ist wirklich umfassend ausgerüstet und ausserdem in einem sehr guten Zustand. Dafür haben schliesslich Mike in Chico und Danny in Calgary gut gesorgt.
Dann gibt es aber Schwierigkeiten mit den Papieren. Eigentlich hätte Proitalia Moto mir die originalen Fahrzeugpapiere beim Kauf von Olga übergeben müssen. Aus irgendeinem Grund haben sie mir aber nur irgendwelche provisorischen Unterlagen gegeben.

Das ist jetzt ziemlich blöd. Wie bei uns kann man auch in den USA ein Fahrzeug nur mit den Papieren verkaufen. Heisst das jetzt, dass ich Olga wieder nicht verkaufen kann? Bin ich am Ende nicht nur ungeplant nach Hause geflogen, sondern auch vergeblich noch einmal wiedergekommen? Fängt jetzt alles wieder von vorne an? Dabei hat der Tag heute doch so schön angefangen. Es kommt gottseidank nicht so schlimm heraus. Andrew rettet die Situation. Er kennt die Leute von Proitalia Moto und ruft sie gleich an. Ich verstehe nicht alles, was sie am Telefon besprechen. Aber am Schluss steht fest, dass Proitalia Moto die Papiere umgehend schicken wird. Als Andrew auflegt hebt er vielsagend die Augenbrauen und zwinkert mir zu. Amerika ist zwar riesig, aber offenbar kennt man hier seine Pappenheimer auch über weite Distanzen. Ich bin so erleichtert. Eine kleine Hürde gibt es aber noch: Andrew kann den Kaufvertrag erst ausstellen, wenn er die richtigen Papiere hat. Er bietet er mir deshalb einen provisorischen Kaufvertrag an. Er möchte, dass ich etwas in der Hand habe, wenn ich Olga bei ihm stehen lasse. Rechtlich gesehen ist das zwar nur ein Formalismus. Aber es ist eine sehr freundliche, wohlwollende Geste. Ich schätze das sehr. Nach einer knappen Stunde ist der Deal perfekt. Andrew schiesst noch ein Abschiedsfoto von Olga und mir. Dann verabschiede ich mich von den beiden. Olga hat mich zuverlässig durch den Westen von Nordamerika getragen. Hoffentlich findet Andrew einen guten Besitzer für sie. Mit dem Helm in der Hand mache ich mich zu Fuss auf den Weg zum Hotel.

Fast eine Stunde dauert mein Fussmarsch zum Hotel. Andrew hatte mir noch angeboten, ein Taxi zu rufen. Aber das will ich gar nicht. Etwas Bewegung tut mir ganz gut. Es ist ja erst früh am Nachmittag. Unterwegs kaufe ich etwas zu essen und drei grosse Dosen Bier. Ich muss schliesslich noch das glückliche Ende meiner Reise feiern.
Im Hotel angekommen stelle ich mich zuerst einmal lange unter die heisse Dusche. Langsam löst sich die Anspannung und die Erleichterung macht sich breit. Es ist alles gut gegangen: Die Fahrt von Whitehorse nach Anchorage, die Einreise in die USA und jetzt auch der Verkauf von Olga. Den grössten Teil des Nachmittags verschlafe ich.
Am Abend gehe ich noch einmal raus. Gemäss meinem ursprünglichen Plan hätte ich anfangs Juni vier Tage in Anchorage verbracht. Weil ich sofort ausreisen musste ist es aber nicht dazu gekommen. So ein kleines bisschen möchte ich schon noch sehen von dieser Stadt im wilden Norden. Ausserdem habe ich gelesen, dass man hier überall frisch gefangenen, gegrillten Lachs kaufen kann. Fast eine Stunde lang bin ich unterwegs. Leider finde ich keinen dieser Fischgrill-Shops und kehre deshalb wieder um. Am Ende geht es mir hier in Anchorage so wie vor ein paar Wochen in Vancouver: Ohne Olga bin ich einfach nicht mehr im Reisemodus. Zurück im Hotel bereite ich noch alles für die Heimreise vor. Dann ist Schluss für heute.

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