Whitehorse – Haines

Den Tag gestern habe ich in Whitehorse verbracht. Heute fahre ich wieder weiter. Mein Etappenziel ist Haines, ein kleiner Ort an der Küste von Alaska. Dort habe ich für drei Nächte ein lauschiges Studio gemietet. Auf dem Landweg ist Haines nur über Kanada zu erreichen. Fünf Stunden wird die Fahrt von Whitehorse nach Haines dauern. Um 15.00 erwarten mich meine Vermieter, darum breche ich früh auf.
Bevor ich mich aber von Whitehorse verabschiede suche ich noch jemanden, der mir wieder einmal die Glühbirne des Frontscheinwerfers von Olga ersetzt. In Whitehorse gibt es zwei Motorradwerkstätten: Eine Harley- und eine Yamaha-Vertretung. Ich fahre zur Yamaha-Vertretung, weil die grösser ist. Der Mechaniker von Yukon-Yamaha hat keine passende Glühbirne für mich. Er hat nur H4-Birnen, ich brauche aber eine H7-Birne, meint er. Ich habe ja überhaupt keine Ahnung, was H4 oder H7 bedeuten soll. Der Mechaniker könnte mich gerade so gut veräppeln und mir eine A4 oder eine C5/6 Birne empfehlen. Trotzdem merke ich mir den Begriff H7. Schliesslich werde ich mir etwas einfallen lassen müssen, um in der Einsamkeit von Kanada und Alaska mein Fahrlicht wieder zum Leuchten zu bringen.
Eine neue Glühbirne ist nicht das Einzige, worum ich vor meiner Abreise in Whitehorse noch kümmern muss. Ich muss auch noch tanken. Dazu brauche ich allerdings keinen Mechaniker. Tanken kann ich nämlich. Gleich neben der Yamaha-Vertretung gibt es eine Tankstelle. Also rolle ich mit Olga da hin. Sofort sehe ich aber, dass irgendetwas mit dieser Tankstelle nicht stimmt. Alle Zapfsäulen sind zugeklebt. Bevor ich mich aber richtig wundern kann geht die Türe des Tankstellengebäudes auf. Ein Mann steht in der Türe, winkt mir zu, kommt zu mir und erklärt mir freundlich, dass das hier keine Tankstelle mehr sei. Hier sei jetzt ein Restaurant. Dementsprechend könne er mir kein Benzin verkaufen, dafür könne er aber Eiscreme liefern. Zuerst bin ich etwas verwirrt. Es dauert einen Augenblick, bis ich verstanden habe, was mir der Mann mit seiner temporeichen Stakkato-Rede hat sagen wollen. Dann schaue ich ihn mit grossen Augen an, deute auf mein Motorrad und antworte: „Darf ich vorstellen, das ist Olga. Wir sind schon etwa 20'000 Meilen zusammen unterwegs. Ich habe es zwar noch nie probiert, aber ich fürchte, dass sie mit Eiscreme nicht wirklich gut laufen wird." Der Mann lacht. Er will mir gar nicht Eis statt Benzin für mein Motorrad anbieten. Er will mir nur erklären, was hier los ist. Mit Benzin verdiene man hier einfach kein Geld mehr. Darum sei die ehemalige Tankstelle zu einem Restaurant umgebaut worden. Das mit dem Umbau verstehe ich gut. Aber der Laden hier liegt doch direkt am Alaska Highway. Warum sollte man ausgerechnet hier mit Benzin kein Geld verdienen können? Das erklärt mir der freundliche Mann gerne und ausführlich: Zuerst einmal habe der Vorbesitzer den Ruf der Tankstelle kaputt gemacht. Das gehe hier ganz schnell. Aber als Besitzer einer Tankstelle müsse er Benzin für 92 Cent pro Liter einkaufen, könne es aber und nur für einen Dollar pro Liter verkaufen. Dabei verdiene er einfach nichts. Nun, meine ich, damit erwirtschaftet man ja immerhin acht Prozent Gewinn. Ich kenne da Produkte, mit denen man deutlich weniger Geld verdient. Solche Produkte kenne er selbstverständlich auch, schmunzelt da mein Gegenüber etwas schelmisch. Aber bei Eiscreme betrage die Gewinnspanne eben 200%. Da mache ich schon wieder grosse Augen. Schliesslich hatte ich ja keine Ahnung, dass man hier im hohen Norden mit Eiscreme so gut Geld verdienen kann.
Nach zwei Kilometern finde ich dann doch noch eine Tankstelle, die neben Eiscreme auch Benzin verkauft. Und nicht nur das: Gleich auf der anderen Strassenseite steht ein Canadian Tire Store, eine Art kanadischer Baumarkt. Und da bekomme ich tatsächlich eine H7-Glühbirne. Es hat sich also gelohnt, dass ich mir für 20 Minuten diesen Begriff gemerkt habe. So, und jetzt bin ich endlich bereit für die Fahrt nach Haines.

Es ist kühl und regnerisch. Eigentlich hatte ich mit besserem Wetter gerechnet. Die Dame an der Rezeption meines Hotels hatte nämlich gemeint, sie hätte ein gutes Gespür für das Wetter, und heute werde es schön. Tja, offenbar hat das Wetter nicht so ein gutes Gespür für diese Frau.
Die ersten eineinhalb Stunden folge ich dem Alaska Highway. Die Strasse führt fast immer geradeaus. Ab und zu zeigt ein Schild eine Siedlung oder eine Unterkunft an. Am Horizont ist eine Bergkette mit verschneiten Gipfeln sichtbar. Der Himmel hängt tief und ist heute definitiv nicht voller Geigen. In Haines Junction biegt der Alaska Highway noch Nordwesten ab. Dort werde ich dem Yukon Highway 3 bzw. dem Haines Highway folgen, der in südöstlicher Richtung nach Haines führt. Kurz vor Haines Junction verspricht ein Schild, dass man hier in der Village Bakery "fine food" bekomme. Was immer damit in den einsamen Yukon Territories gemeint ist: Ich hätte gerne etwas Feines zu Mittag. Eine Tankstelle finde ich sofort in Haines Junction, aber die Village Bakery suche ich vergeblich. Bei der grossen Kreuzung finde ich stattdessen ein Motel, das auch einen Lunch anbietet. Dann probiere ich eben das hier aus. Das Restaurant wird von zwei Männern geführt, die ich beide so um die siebzig schätze. Hier ist zwar alles sauber und das Mittagessen ist soweit ganz recht. Trotzdem komme ich mir vor, als sei ich hier in einer Yukon-Version der Muppet Show gelandet – nur, dass es mit diesen zwei Alten hier nicht ganz so viel zu lachen gibt. Bevor ich weiterfahre ziehe ich noch wärmere Sachen an. Schliesslich dauert die Fahrt nach Haines noch knapp drei Stunden.

Die Strecke von Haines Junction nach Haines ist deutlich attraktiver als der erste Teil meiner Etappe. Haines Junction liegt direkt am Ostrand der Berge, auf die ich bisher zugefahren bin. Später sehe ich, dass das hier die Saint Elias Mountains sind. Nach etwa 30 Meilen taucht zuerst rechts der Kathleen Lake, dann links der Dezadeash Lake auf. Hier gibt es viele Angebote für Naturliebhaber, Wanderer und Fischer. Dann sieht man schon von weitem, wie die Strasse durch zwei Bergzüge hindurch nach Südosten führt. Ganz am Horizont zeigt der wolkenverhangene Himmel ein kleines blaues Fenster. Vielleicht wartet ja in Haines das schöne Wetter auf mich. Die Strasse steigt kontinuierlich an. Links und rechts der Strecke liegen immer mehr Schneeflecken, und je höher hinauf die Strecke geht, desto öfter beobachte ich ein seltsames Geschehen: Am Strassenrand richten sich immer wieder kleine Tiere auf, etwa 30 cm hoch und ganz dünn. Wenn ich dann näher komme flitzen sie wie Kamikaze-Piloten im letzten Augenblick vor meinem Vorderrad über die Strasse. Mit der Zeit merke ich, dass es zuerst so aussieht, als ob da Tannzapfen am Strassenrand liegen würden, die sich dann aufrichten und plötzlich über die Strasse fegen, Tannzapfen mit Düsenantrieb. Meine Vermieterin in Haines erzählt mir später, dass das Erdhörnchen sind, Earth Squirrells. Die gebe es oben in den Bergen massenhaft. Ich müsse mir vorstellen, dass ein Bär einen hohen Energiebedarf habe, da sei so ein Earth Squirrell gerade einmal ein Appetizer. Die Bären würden diese Tiere in Massen fressen, „like a Taco or a Burrito“. Das ist ein schönes Bild, wenn ich mir vorstelle, wie da ein Bär durch die Gegend zieht und sich ab und zu einen Snack greift. Ein paar Mal sehe ich einzelne dieser Erdhörnchen genauer, wenn sie sich am Strassenrand aufrichten, bevor sie ihren Kamikaze-Run starten. Sie sehen aus wie kleine, alte, niedliche, aufmerksame Männchen.
Die Berge hier oben ragen mit langgezogenen, klaren und einfachen Konturen in den Himmel. Auf ihnen liegt der Schnee in langen vertikalen Streifen. So sehen sie aus wie Zebra-Berge.

Kurz vor der Grenze zu Alaska überquere ich den Chilkat-Pass. Mit seinen 1070 Meter über Meer ist er der höchste Punkt meiner heutigen Etappe. Etwa zwei Stunden, nachdem ich in Haines Junction wieder aufgebrochen bin, erreiche ich die Grenze zu Alaska.
Der Grenzübergang hier liegt zwar in einer sehr abgelegenen Gegend. Trotzdem ist er etwas völlig Anderes als ich es von den Grenzstationen in Mitteleuropa gewohnt bin. Hier fährt niemand einfach durch. Dafür sorgen mehrere Ampeln, Haltelinien, eine Barriere und natürlich die Grenzbeamten. Auch wenn die Sicherheitseinrichtungen komplex wirken wird sofort klar, wie man sich hier als Grenzgänger verhalten muss. Zuerst fährt man zur ersten Ampel und bleibt da bei der Haltelinie stehen. Dort wartet man, bis der Customs Officer weiter vorne die Ampel für das nächste Fahrzeug auf Grün stellt. Dann zieht man ganz langsam bis zum Customs Officer und dem nächsten Rotlicht vor und hält genau dort, wo der Officer mit seiner Hand hinzeigt. Erst dann beginnen die Grenzübertritts-Formalitäten. Und so wird hier mit jedem einzelnen Fahrzeug verfahren.

Am frühen Nachmittag ist hier kaum etwas los. Bei meiner Ankunft wartet vor mir ein einziges Auto bei der ersten Ampel. Weil ich ja eher etwas ängstlich bin schaue ich bei der Abfertigung dieses Fahrzeugs ganz genau zu. Ich will alles richtig machen, wenn ich dann drankomme. Aber entweder habe ich nicht gut genug beobachtet, oder ich bin einfach zu nervös. Als mir der Customs Officer das Zeichen gibt und die Ampel auf Grün umschaltet ziehe ich zwar langsam vor, halte aber vor lauter Respekt etwa einen Meter vor der Stelle an, auf die der Beamte mit seiner Hand zeigt. Sofort und sehr energisch deutet der Customs Officer auf die Stelle, an der ich halten soll, und ich gebe mir grosse Mühe, den fehlenden Meter ganz schnell nachzuziehen und dann gleich beim Officer anzuhalten.
Ripley heisst dieser Customs Officer hier. Das sehe ich auf seinem Namensschild. Er ist etwa Anfang sechzig und ein Riese, fast zwei Köpfe grösser als ich. Zuerst will er wissen, woher ich komme. Ich komme aus Kanada, antworte ich treuherzig. Das wisse er bereits, meint er und muss über meine Antwort schmunzeln. Erst jetzt merke ich, was für eine blöde Antwort ich vor lauter Eifer gegeben habe. Woher soll ich denn sonst kommen, wenn nicht aus Kanada? Gottseidank nimmt Officer Ripley mir das nicht übel. Nur weiss ich leider immer noch nicht, was er denn von mir wissen möchte. Officer Ripley lacht immer noch und deutet mit einer Handbewegung an, dass ich den Helm abnehmen soll. Das hingegen ist wieder eine Steilvorlage für mich. Vor den US-amerikanischen Grenzbeamten habe ich nämlich einen so grossen Respekt, dass ich mich heute Morgen extra rasiert habe, um auch ja einen guten Eindruck zu machen. Zugegeben, eigentlich wollte ich damit vor allem bei meiner Vermieterin punkten. Aber vielleicht hilft mir das auch bei diesem Grenzbeamten hier. Nachdem er mein sauber rasiertes Gesicht gesehen hat erklärt er, was er gemeint hat. Er möchte wissen, auf welchen Wegen ich bis hierher gereist bin. Damit kann ich dienen. Ich schildere ihm meine bisherige Reise so genau und ausführlich, dass er mich bald einmal unterbricht und die üblichen Sicherheitsfragen stellt: Ob ich Feuerwaffen, Drogen, Gemüse, Obst oder Geld im Wert von 10'000 Dollar oder mehr dabei habe? Waffen, Gemüse und hohe Bargeldbeträge habe ich nicht dabei. Allfällige Drogen habe ich bereits in Seattle entsorgt, aber das bleibt mein Geheimnis. Die drei Äpfel in meiner Tasche muss ich hingegen auch als schüchterner Tellensohn wohl oder über angeben. Das will Officer Ripley aber ganz genau wissen: Sind es wirklich nur drei Äpfel? Aber natürlich! Ich werde doch meine Einreise nicht wegen etwas frischem Obst gefährden. Als ich Anstalten mache, abzusteigen und ihm meine Rohkostreserve zu zeigen, winkt er aber ganz schnell ab. Er will meine drei Äpfel gar nicht sehen. Schade! Da bin ich aber schon etwas enttäuscht. Dafür schaut er sich meinen Pass ganz genau an. Gut, auch das ist mir recht. Schliesslich ist mein Pass erst ein paar Monate alt und enthält ausser meinem gültigen Visum für die USA und Kanada noch gar keine Einträge. Es sollte also alles in bester Ordnung sein. Vielleicht täusche ich mich da aber auch, denn Officer Ripley studiert eine ganze Weile irgendeine Seite in meinem Pass. Dann schaut er mich prüfend an und fragt, ob ich wisse, dass mein Visum nur noch sechs Tage bis am 30. Mai gültig sei, und wie ich meine Heimreise geplant hätte. Ich zeige ihm den Einreisestempel von der kanadischen Grenzbehörde und rechne ihm vor, dass ich wegen meinem Aufenthalt in Kanada noch 18 Tage zusätzlich in den USA bleiben darf. Ganz kurz überlegt er, ob er diese Verlängerung gleich in meinem Pass eintragen soll, entscheidet sich aber dagegen. Stattdessen rät er mir, bei meiner definitiven Einreise in Alaska am Ende dieser Woche eine entsprechende Verlängerung zu verlangen. Das finde ich ausgesprochen nett von Officer Ripley. Nachdem ich mich für den Hinweis bedankt und den Pass wieder eingesteckt habe, darf ich zum ersten Mal in Alaska einreisen.

Noch 40 Meilen sind es bis Haines, und dann noch einmal zehn Meilen bis zur Mud Bay, wo meine Ferienwohnung liegt. Ich habe ein ziemliches Durcheinander mit Meilen und Kilometer. Eben habe ich mich noch in Kanada wieder an die Messung mit Kilometern gewöhnt und die Geschwindigkeit auf der inneren Tachoskala abgelesen. Jetzt muss ich wieder aufpassen, dass ich nicht viel zu schnell oder viel zu langsam bin, weil ich die Temposkalen verwechsle.
Haines liegt am Zusammenfluss des Chilkat und des Chilkoot Rivers, merke ich später. Mein Weg führt am Chilkat River entlang, einer üblen dicklichen grauen Gebirgsbach- und Schmelzwasser-Brühe. Das Flussbett ist mehrere 100 Meter breit und mit riesigen Kiesbänken und Schwemmholz-Baumstämmen durchsetzt. Während ich neben einer etwas tieferen Stelle des Flusses fahre stelle ich bei einem Stück Schwemmholz eine komische Bewegung fest, schaue hin und sehe, dass es kein Schwemmholz ist, sondern ein Elchkopf. Da schwimmt ein Elch, der bis zum Kinn im Wasser ist. So schnell wie möglich halte ich an, drehe um und bringe mich in Fotoposition. Das passt dem Elch aber gar nicht. Obwohl er schon fast am Ufer auf meiner Seite ist wendet er sich wieder ab, schaut zurück und stösst ärgerliche tiefe Laute aus, so etwas wie ein ganz tiefes „Bu Bu Bu“. Dann kehrt er um und schwimmt wieder in Richtung Flussmitte, immer vor sich hin schimpfend "Bu Bu Bu". Ich hoffe, dass ich nichts Blödes gemacht habe und der Elch nicht in Bedrängnis kommt, aber da wird schon etwas mehr von dem Tier sichtbar. Unter seinen Protestlauten steigt er langsam aus dem Wasser und stelzt davon. Im Frühjahr kann man die Elchbullen kaum von den Elchkühen unterscheiden, weil die Bullen ihre Schaufeln abgestossen haben und nur noch an so kleinen Ausbuchtungen auf dem Kopf zu erkennen sind. Dieser Elch hier ist zu weit weg um erkennen zu können, ob er Hörnchen hat oder nicht, aber es ist jedenfalls ein Riesentier. Darum nehme ich an, dass es ein Bulle ist. Von jetzt an schaue ich viel genauer in den Fluss. Vielleicht schwimmt da ja noch einmal ein Elch. Nein, von jetzt an gibt es nichts mehr zu sehen, weder Elche noch Burritos.

Pünktlich um drei Uhr treffe ich beim Haus meiner Vermieter ein. Es liegt völlig abgelegen und nur wenige Meter vom Strand an der Mud Bay. Meine Vermieter heissen Carolyn und Tom Ganner. Carolyn zeigt mir mein Studio, das im ausgebauten Dachstock ihrer Garage liegt. Die Einrichtung ist nicht mehr ganz neu, aber zweckmässig und sauber. Vor allem aber ist das Studio vollständig eingerichtet. Nach fast zwei Monaten kann ich wieder einmal selber kochen. Carolyn will mir alle Unterhaltungselektronik zeigen und auch alles Mögliche über die Sehenswürdigkeiten der Region erklären. Sie ist ein wenig enttäuscht, als ich ihr ins Wort falle und erkläre, dass mein Programm bereits feststeht und ich weder Radio noch Fernsehen noch DVDs brauchen werde: Heute gehe ich einkaufen, dann koche ich Abendessen und dann ist Feierabend. Morgen ist Unterhaltstag: Wäsche waschen, Olga checken, und für den Rest des Tages blogge ich oder faulenze etwas herum. Am Donnerstag bin ich den ganzen Tag über auf einer Whale watching tour, und am Freitagmorgen fahre ich wieder weiter. Das wäre geklärt. Tom Ganner wird am Donnerstag übrigens auch mit auf der Tour sein. Er wird das Ausflugsschiff als Fähre benutzen, um nach Juneau zu fahren und dort zum Arzt zu gehen. Carolyn erklärt mir noch das Wifi. Hier in Haines gibt es nur langsames Internet, und die Bandbreiten wie auch die Download-Raten sind beschränkt. Ich kann also nicht Videos streamen und anschauen. Das habe ich nicht vor, kann ich sie beruhigen. Ich erinnere mich aber, dass eines der Wahlversprechen von Bill Clinton gewesen ist, dass es im ganzen Land Daten-Autobahnen geben soll. Ob es denn keine Daten-Autobahn nach Haines gebe. Doch schon, aber eben eine, die nicht so breit sei. Jetzt bin ich etwas erstaunt. Die Strasse nach Haines ist ja ganz neu oder mindestens sehr gut unterhalten. Also ist doch Geld vorhanden. Carolyn schüttelt den Kopf. Sie erklärt, wie wichtig eine gute Strasse für den abgeschnittenen Küstenort sei, gerade wenn es um medizinische Versorgung oder um Notfälle gehe, und dass eine gute Strasse darum wichtiger sei als eine Fiberglas-Datenautobahn. Das weiss ich schon. Ich hatte eigentlich darauf anspielen wollen, dass die USA pro Woche eine Milliarde Dollar für Kriege im Ausland ausgeben. Für dieses Geld könnte man an jeden Küstenort eine armdicke Glasfaserleitung legen und die Orte der ganzen Küste mit vierspurigen Strassentunnels verbinden, die innen mit handgewobenen Ziegenwoll-Teppichen ausgekleidet wären. Aber ich merke, dass da dünnes Eis ist und halte den Mund. Carolyn warnt mich noch, dass auf ihrem Grundstück unten am Fluss eine Elchkuh wahrscheinlich zwei Kälber bekommen habe, ich solle also vorsichtig sein, wenn ich mich auf dem Grundstück bewege. Mir ist eine Elchkuh zwar lieber als eine Bärin mit Jungen, sage ich etwas flapsig. Da wird Carolyn ziemlich streng. Sie erklärt mir, dass eine Bärin mit einem Jungen immer noch ein scheues Tier sei, und dass die Wahrscheinlichkeit, einer Bärin mit einem Jungen zu begegnen sehr gering sei. Elche hingegen müssten den ganzen Tag herumziehen, damit sie genügend zu fressen finden. Elche würden auch ausgesprochen schlecht sehen und darum ganz schnell in Panik verfallen und angreifen, wenn sie etwas Unbekanntes entdecken würden. Und wenn ich einer Elchkuh in diesem Zustand begegnen würde, dann hätte ich ziemlich schlechte Karten. Peng, der hat gesessen. Ich nehme die Zurechtweisung an und halte den Schnabel.

Später treffe ich Carolyn Ganner beim Einkaufen wieder. Im Supermarkt finde ich keinen Frischfisch und frage sie, wo ich den hier bekomme. Das scheint ein Problem zu sein. Obwohl es bereits Ende Mai ist hat die Fischerei gar noch nicht wieder begonnen. Das hat mit dem Bestand der Königslachse zu tun. In den letzten Jahren hat es immer weniger Fische gegeben. Daher darf man heuer erst ab Mitte Juni wieder kommerziell nach Königslachsen fischen. Carolyn empfiehlt mir, irgendwo nach gefrorenem Fisch aus hiesigem Fang zu fragen. Auf dem Heimweg fahre ich per Zufall bei einem Fischer vorbei. Tatsächlich bekomme ich da noch ein Stück gefrorenen King Salmon vom letzten Herbst. Da bin ich ja dann gespannt.

Mein Aufenthalt in Phoenix an Ostern liegt schon zwei Monate zurück. Das war das letzte Mal, dass ich in einer Küche gestanden bin und gekocht habe. Heute Abend stehe ich in der kleinen Küche meiner Ferienwohnung in Alaska und kümmere mich um mein Abendessen. Es gibt zwar nichts Grossartiges, aber immerhin etwas Anderes als den üblichen Mikrowellenfood aus dem Supermarkt. Ich geniesse dieses Ritual, Gemüse zu rüsten, den Arbeitsplatz in der Küche zu verwüsten und während das Essen vor sich hinköchelt gleich alles wieder aufzuräumen. Auch wenn ich ein begeisterter Biker bin gebe ich doch gerne zu, dass Kochen und gut Essen einen anderen Sinn ergeben und anders zufrieden machen als Motorradfahren.

Reiseroute am Dienstag, 24. Mai 2016

Kommentare

  • Karl Bürgi Donnerstag, 2. Juni 2016 Antworten

    Hallo Martin
    Deine Reiseberichte sind spannend wie immer! Vielen Dank. Ich schreibe meine Zeilen hier in der Rückblende, obwohl ich bereits deine Eintrage nach dem 24. Mai gelesen habe. Der Gwunder hat mich einmal mehr gepackt und so habe ich dann die Schweinwerferbirnenstory mit Schmunzeln gelesen. So eine Birne hat es wohl in sich. Oder war es die Spannfeder, oder der Scheinwerferbirnenmechaniker? Jedenfalls hat Olga deinen dank verdient. Nach deiner Beschreibung müssen die Klamoten echt unsauber, ich sage nicht schmutzig, gewesen sein. Hast du noch ein Bild dazu? Apropos Bilder. Deine Fotos sind wunderbar und ich stelle mir vor wie es ist, wirklich dort an diesen Plätzen zu sein und Landschaft, Eindrücke, Wind und Düfte, Geräusche und Stille tief in sich aufzunehmen.
    Ich wünsche dir auf deiner Weiterfahrt alles Gute. Lasse mir die Elche Grüssen.

    Herzlich Karl

    • Martin Bünger Donnerstag, 2. Juni 2016 Antworten

      Tschou Kari
      Vielen Dank!
      Zu meiner Schmutzwäsche gibt es keine Bilder ?
      Die Elche habe ich gegrüsst. Entweder haben sie mich nicht verstanden, oder sie kennen dich nicht mehr, sie haben jedenfalls nur blöd geschaut (das können Elche).
      Herzliche Grüsse Martin

  • Karl Bürgi Samstag, 4. Juni 2016 Antworten

    Guten Morgen Martin

    Bei uns ist es Samstag-Morgen und bei dir? Ich werde demnächst bei unsererer Chäsifrau Yvonne eines ihrer selbstgebackenen Züpfli kaufen gehen. Es schmeckt jeweils wunderbar! Was schmeck dört äne bei dir auch immer wieder so wunderbar?
    Elch: Sage dem Elch, wenn du ihn wieder sehen wirst, was ich hoffe, ich hätte mich nicht verändert, zumindest äusserlich nicht.

    Einen wunderschönen Tag (bei uns schiffffft es) wünsche ich dir.
    Herzliche Grüsse Karl

    • Martin Bünger Samstag, 4. Juni 2016 Antworten

      Tschou Kari
      Ich bin gestern heimgekommen.
      Bis bald Martin

  • Karl Bürgi Samstag, 4. Juni 2016 Antworten

    Welcome to switzerland, Martin!

    Grüsse Karl

Schreibe einen Kommentar zu Martin Bünger Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert